von Julia Heckmann
Ich wurde schon häufig gefragt, wieso ich meiner Frau so viele Freiheiten lasse. Wieso sie jedes Wochenende feiern darf und wenn sie möchte, jede Ferien allein in den Urlaub fahren kann. Immer wenn mir diese Frage gestellt wird, erzähle ich etwas über Blumen und ich finde, es ist eine schöne und wichtige Geschichte. Meine Frau ist für mich eine wunderschöne Blüte. Ich könnte sie aus ihrer Erde reißen und mit nach Hause nehmen, damit ich meine Blume für mich allein habe oder ich könnte sie in ihrer fundierten Erde jeden Tag gießen und jeden Tag bewundern, wie sie wächst und immer schöner und schöner wird. Es ist, wie Buddha einst den Unterschied zwischen mögen und lieben erklärte: “Wenn du eine Blume magst, pflückst du sie einfach. Wenn du jedoch eine Blume liebst, gießt du sie jeden Tag.” Das ist es, was ich mit meiner Frau tue. Sie bekommt jeden Tag von mir, was sie am dringendsten benötigt, und dennoch die Freiheit in ihrem Boden zu wachsen und die Sonne zu genießen. Auch der indische Philosoph Osho vertritt diese Ansicht über die Liebe: “Wenn du eine Blume liebst, dann pflücke sie nicht. Denn wenn du sie pflückst, wird sie sterben und nicht mehr das sein, was du liebtest. Wenn du also eine Blume liebst, dann lass sie so, wie sie ist. Bei der Liebe geht es nicht um Besitz. Bei der Liebe geht es um Wertschätzung.” Wenn du Menschen, die du liebst, die Flügel stutzt, werden sie sich verändern und nicht mehr so schön und beeindruckend sein, wie sie es zuvor waren. Du wirst sie nicht mehr wiedererkennen, und irgendwann wirfst du ihnen womöglich vor, sich verändert zu haben. Wenn ich also auf die Frage, wieso ich meiner Frau so viele Freiheiten lasse, mit der Geschichte über die Blumen antworte, sieht mich der Fragende meist mit großen Augen an und sagt: “Aber deine Frau sollte nicht jedes Wochenende feiern gehen wollen, sie sollte nicht immer wieder ohne dich in den Urlaub fahren wollen, sie sollte doch bei dir sein wollen.” Meine Antwort auf diese Aussagen ist immer dieselbe: “Meine Frau ”soll“ überhaupt nichts, außer glücklich sein und jeden Tag von Herzen lachen. Außerdem habe ich nie gesagt, dass sie das alles tut. Ich habe lediglich gesagt, dass sie es tun könnte und dass es meine Liebe zu ihr nicht verändern würde. Ich kann auch mal allein daheimbleiben und auf sie warten oder sie nach einem spaßigen Abend abholen kommen und mich danach mit ihr ins Bett kuscheln. An den meisten Wochenenden ist meine Frau bei mir, aber nicht, weil sie dableiben muss, soll oder, weil ich sonst sauer auf sie wäre, sondern weil sie gerne die Wochenenden mit mir verbringt und weil ich ihr sicherer Platz bin, an dem sie immer sein kann, wenn sie lieber zur Ruhe kommen möchte. Den meisten Urlaub, den sie macht, macht sie ebenfalls mit mir, weil sie lieber zwei intensive Wochen mit mir verbringt als mit irgendjemandem sonst. Sie tut alles, was sie tut aus Liebe zu mir, nicht aus Sorge um meine Reaktion. Aber warum sollte sie nicht etwas tun aus reiner Liebe zu sich selbst?“
© Julia Heckmann 2021-10-11