von der Zeil bis zum Hauptbahnhof

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von leerezeile

Story
Frankfurt

Durch Frankfurt laufen heißt Menschen zu beobachten. Menschen die alleine sind, Menschen mit zu alten und zu jungen Partnern, Paare auf die ich neidisch bin und Gruppen, die mir das Gefühl geben, dass ich niemals ganz zu meiner Generation dazugehören werde. Ich stelle mir die Frage, was mich von den Menschen um mich unterscheidet und mit wem ich mich gut verstanden hätte, wenn wir zusammen aufgewachsen wären. 

Ich sehe Menschen, die alles haben, was mir fehlt. Insgeheim hoffe ich, dass sie trotzdem nicht glücklich sind und dann fühle ich mich so klein und bedeutungslos. Denn manchmal kommt mir der Gedanke in den Kopf, dass ich nie alleine glücklich sein kann. Damit meine ich nicht, dass ich einen Partner brauche, sondern ich kann nur glücklich sein, wenn es andere nicht sind. Ob das nur eines der vielen Dinge ist, die niemand aussprechen möchte oder ob meine Unsicherheit mich schleichend verschlingt, kann ich nicht ordnen.

Denken andere Leute so über mich und weil ich egoistisch bin und Angst habe, von anderen bemitleidet zu werden, dafür wer ich bin und wie ich aussehe, hoffe ich, die Antwort ist JA.

Aber an guten Tagen sehe ich die Bedeutungslosigkeit meiner Haut, meiner Jeansgröße und meiner Brüste. Ich sehe Schönheit in jedem den ich liebe und warum sollten anderes das nicht auch tun?

Gleichzeitig erdrückt es mich, wie gefangen ich in mir bin, in meinem Körper, den ich nicht als Zweck wahrhaben kann, bin. Und der Gedanke, dass mein Körper, mein Gesicht, mein ganzes Dasein jedem, zu jeder Zeit unterlegen ist, sitzt so tief, ich glaube, er bleibt da für immer.

Ich hab fast den Hauptbahnhof erreicht und die Erleichterung, dass die Leute um mich, meine Geschichte nicht kennen, meine Gedanken nicht lesen können trifft mich. Uns ist allen nicht bewusst, wie viel Macht unsere Gedanken haben, wie sehr wir in unsere Welt gefangen sind und wie wenig wir voneinander wissen und wie egal uns das auch ist.

Ich stehe am Gleis, alle Menschen um mich, hab ich gleich wieder vergessen und sie mich auch und ich muss irgendwie an die „Truman Show“ denken. Der Zug ist und mein letzter Gedanke dazu ist, dass wir alle so viel mehr fühlen, als wir aussprechen und dass ich nicht weiß, ob die Person, die gerade vor mir ihr Ticket nach Hause zieht, heute ihren schlimmsten oder vielleicht besten Tag hat.

© leerezeile 2024-02-25

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Komisch, Hoffnungsvoll, Reflektierend