Von Egoismus und Neid

MrsSensitive

von MrsSensitive

Story

Meine Schwester war für mich als Kind immer eine Person die man für ihr Selbstbewusstsein, ihre Zielstrebigkeit und ihre Klarheit bewundern konnte. Sie wusste schon früh, wo sie ihr Weg hinführt, wer sie ist und was sie will.

Dachte ich.

Ich war da ganz anders und brauchte für vieles länger.

Meine Schwester war die hübschere von uns. Sie hatte lange blonde Korkenzieherlocken bis zum Po und eine zierliche Figur.

Ich war etwas zu groß, etwas zu pummelig und machte mir nicht besonders viel daraus.

Neidisch war ich nicht auf meine Schwester. Wir waren einfach nur verschieden. Jeder hatte seine Talente und Interessen. Und als Schwestern gönnt man sich doch alles und wünscht sich gegenseitig nur das Beste.

Als meine Schwester etwa ein halbes Jahr mit ihrem neuen Mann zusammen und bereits schwanger war, wollte sie sich mit mir treffen um zu quatschen. Ich war damals endlich angekommen. Ich hatte eine wunderbare Beziehung zu einem tollen Mann, einen super Job und wir waren mitten im Hausbau. Meine ersten drei Krebserkrankungen hatte ich überstanden und ich war wieder, abgesehen von schlankerer Figur und flottem Kurzhaarschnitt fast die Alte.

Wir trafen uns also am Rathausplatz und begannen ein etwas oberflächliches Gespräch über die Arbeit und die Fortschritte beim Hausbau, als es bald eine tragische Wendung nahm.

Meine Schwester fing an mir Vorwürfe zu machen. Sie beschuldigte mich egoistisch zu sein, nie für jemanden da zu sein, immer nur zu fordern. In ihren Augen gab ich mir überhaupt keine Mühe ihren neuen Mann kennen zulernen und ihr gegenüber verhielt ich mich schon seit Jahren seltsam. Sie hatte den Eindruck, ich sei neidisch auf dass, was sie sich geschaffen hatte und vor allem auf ihre Schwangerschaft.

Ich wusste seit meinem 20 Lebensjahr, dass ich aufgrund einer Bestrahlung keine Kinder bekommen konnte und hatte gemeinsam mit meinem Partner mit diesem Thema abgeschlossen. Wir waren eigentlich beide froh, so eine Entscheidung nicht mehr treffen zu müssen und genossen unsere daraus entstandene Freiheit.

Mir tat es fürchterlich weh, was mir meine Schwester da in 20 Minuten alles vorwarf. Ich war entsetzt und enttäuscht, dass sie mir nicht früher schon gesagt hatte, was sie stört. Ich war geschockt, dass sie mir Dinge vorwarf die lange geklärt waren. Vieles war plötzlich komplett verdreht. Hatten wir so verschiedene Wahrnehmungen? Wir verstanden uns doch immer so gut. Ja, mit ihrem Mann hatte sie recht, aber es bestand auch von seiner Seite keine Interesse und ich hatte es doch Anfangs wirklich versucht. Bevor er sie uns wegnahm. In die Stadt und meine Nichte zu ihrem Papa ziehen musste, weil sie nicht mit einem Fremden wohnen wollte.

Ich versuchte gar nicht mich zu verteidigen, denn ich hatte es nicht nötig. Ich ließ mein Getränk stehen und verließ wortlos den Platz.

© MrsSensitive 2019-07-09