von Anna Geier
Treu hat sie gedient, hat sich angepasst, hat gemacht und gedacht, was vorgegeben war. Hat sich angestrengt, Liebe zu bekommen, hat sich fast unsichtbar gemacht und hat sich gleichzeitig verbogen, wie ein Baum, der auf einer Wasserader steht. Derart schief gewachsen und ausgestattet mit mit alten, überkommenen Vorstellungen, hat sie notgedrungenerweise beschlossen, ihr Leben doch selber in die Hand zu nehmen.
Sie schnappte ihr Auto, lud es mit den lebensnotwendigsten Dingen voll und fuhr los. Ihren Ausgangsort und die Anbindung ließ sie zurück. Gleich am ersten Tag der Selbstständigkeit hatte sie einen Job und eine Wohnung. Nach einem Jahr kam die nächste Untermiete herbei und nach weiteren zwei Jahren zog es sie in die große Stadt. Da begann wirklich ein neuer Lebensabschnitt. Frauengruppen, Hexen, Magie, Rituale und Therapien stellten sie auf neue Beine. Zufälle bereicherten ihr Leben, denn die Möglichkeiten ploppten auf. Jede Chance nützte sie und jede Herausforderung meisterte sie, auch wenn es noch so schwierig war. Reisen, Kurse, Seminare und neue Freundschaften erweiterten ihren Horizont.
Immer wieder fehlte ein Stück zum Glück. Immer wieder musste neu sortiert werden, aber die Lernschritte und Lebenserfahrungen folgten . Alte Wunden und Einschränkungen wurden abgestreift, neue Herausforderungen angenommen und der Weg wurde Schritt für Schritt weniger holprig. Zuhause am Ursprungsort erkannte man sie fast nicht mehr wieder.
Den alten Bauernhof abgestreift, eine Schwangerschaft und das Kind hielten sie auf Trab. Der nächste Wunsch ging in Erfüllung: Leben auf dem Land. Damit es nicht langweilig wurde, gab es plötzlich vier Wohnsitze wegen einer neuen Partnerschaft. Ganz schön viel Organisation war gefragt, um alles unter einen Hut zu bringen. Der Hut war ein Lebensdach. Ein breiteres und größeres hätte sie sich gar nicht vorstellen können. Job, Kind, Partner, Pendlerin zwischen den Wohnsitzen verlangten wirklich alles von ihr. Da kam sie wirklich an ihre Grenzen. Verwunderte Freundinnen fragten immer wieder, wie denn das zu schaffen sei. Wenn es passt, dann hat man genug Energie und die Reserven gehen nie aus, denn es kommt immer wieder Nachschub.
Dann kamen Einschnitte, ernsthafte, dauerhafte Abbrüche, gewaltige Veränderungen. Diese ungewollten Erschütterungen, stark wie ein Erdbeben, forderten sie gewaltig. Aber es geht weiter. Sie, alleine gegen den Rest der Welt, der gerade Kopf steht, so kam es ihr vor. Freigeistmäßig unterwegs auf dem Erdboden stampfend, die Füße fest am Boden, die Wurzeln tief in der Erde verankert, so erfasste sie ihr Dasein neu. Die Verbindung nach oben ist dauerhaft, während die Verbindungen hier auf dem Planeten sich verändern. Wo führt das alles hin? Das möchte sie jetzt gerne wissen.
© Anna Geier 2022-05-18