von Andreas Trimmel
âDu siehst aus wie ein Hummerâ, kichert meine Lieblingstochter. Ich sehâ an mir runter. Irgendwie hat sie recht, so rot wie mein Bein ist. Rot vom Desinfektionsmittel vor der OP. Rot zur Markierung jenes Beins, das zu operieren ist, als Entscheidungshilfe fĂŒr den Operator. Es ist zwar mittlerweile lĂ€ngst nach der OP, doch die Farbe ist noch da, der Lack ist noch nicht ab. Es dauert noch ein paar WaschgĂ€nge, bis mein Bein wieder seine normale Farbe angenommen hat. Bis dahin also Hummer.
Selbst kommâ ich mir eher wie ein Flamingo vor. Nein, nicht der GrazilitĂ€t wegen, da gleichâ ich mehr einem versandeten Flusspferd. Wie ein Flamingo kommâ ich mir vor, wenn ich einbeinig versuche, das tĂ€gliche Leben zu meistern. Einbeinig, da ich das frisch operierte Knie nicht belasten darf. Eine ganze Weile noch nicht. Und das stellt mich vor gewisse Herausforderungen. Als Flamingo sich zu rasieren etwa, das ist brandgefĂ€hrlich. Einschneidende Erlebnisse vorprogrammiert, da flieĂt fast unweigerlich Blut. Es ist bereits schwierig genug auf einem Bein zu stehen und das Gleichgewicht zu halten. Doch nimm dann noch eine Klinge in die Hand, setze sie vorsichtig auf Augenhöhe an und ziehe sie zielstrebig durch Dein Gesicht, zur Rodung des Urwalds. Jeder Wackler am Bein pflanzt sich fort bis in die Hand und die Finger – und fĂŒhrt unweigerlich zu einer abrupten Ănderung der bis dahin vorgesehenen Klingenroute, da schlĂ€gt die Klinge Haken wie ein Hase. Und das hinterlĂ€sst Spuren. Ein Schmiss neben dem anderen. Wie gut, dass bald wieder Gras bzw. Bart darĂŒber wĂ€chst.
Ein Flamingo also. Samt Hummer. Aber auch Fredl Fesl kommt mir in den Sinn. âEin Pferd hat vier Beiner. Drei Beiner hĂ€ttâ, umfallân tĂ€tâ.â Wenn ich nicht grad einbeinig Mensuren mit mir selbst ausfechte, bin ich dieser Tage meist dreibeinig unterwegs. Mit meinen getunten KrĂŒcken. Und dabei kann ich sehr gut nachvollziehen, was der Fredl in seinem Lied besingt. Koordinativ ist das der pure Wahnsinn. Ich tĂ€tâ ja liebend gerne eines meiner Ersatzbeine als Hexenbesen verwenden. Doch zum einen bin ich weder Harry Potter – trotz Schmissâ im Gesicht – , noch eine Hexe. Und zum anderen klappt der Start nicht so richtig. Da kommtâs zur unsanften Landung noch bevor ich abgehoben bin. Um- und Auffallen statt Abheben.
Etwa als sich eine Wespe in mein Home-Office verirrt. Erst weise ich ihr freundlich den Weg zum Ausgang – besser gesagt zum Ausflug. Gestikulierend und artikulierend. Doch das Insekt ignoriert mich geflissentlich. Also werdâ ich bestimmter. In Gestik, Mimik und auch Semantik. Ohne Erfolg. Ich schnappâ mir also den Besen, schwingâ mich auf meine KrĂŒcken und verfolgâ das herumschwirrende Vieh. Ein sehenswerter Tanz – vorne die Wespe, im rasanten Zick-Zack-Flug, dahinter ich, dreibeinig galoppierend, jede Wendung des Flugdrachens mitmachend und mit dem Versuch, das Insekt zum Fenster zu treiben und zum Ausflug zu motivieren. Bis ⊠ja, bis zwei der Beine den Bodenkontakt verlieren. Und sich meine Vertikalachse ziemlich rasch in die Horizontale begibt und auf einer glĂŒcklicherweise genau dort positionierten Couch ihr neues Gleichgewicht findet. Die Wespe? HĂ€lt kurz inne, blickt sich zu mir um – und fliegt dann durch das Fenster raus.
Immerhin, ein Sieg des Flamingos ĂŒber die Wespe, ein Sieg des Einbeinigen ĂŒber die BeflĂŒgelte.
© Andreas Trimmel 2024-05-19