von MelBAnders
Ich stehe dort, mitten am Bahnhof. UnzĂ€hlige Gleise, wohin man auch blickt, und ich an Gleis 13 â direkt zwischen Gleis 92 und Gleis 310 â werde von Menschen angerempelt, die ĂŒberall an mir vorbeiströmen. Es herrscht eine Hektik, die sich nicht beschreiben lĂ€sst. Jeder will der Erste sein und keiner schafftâs. Koffer stoĂen gegen fremde Beine, der eine stolpert ĂŒber den anderen, aber der Mann vom Ordnungsamt isst weiter seine Brezel und schaut dem Pantomimen zu, der so tut, als wĂŒrde er eine Brezel essen. Ăber mir ertönt die verzerrte Durchsage eines Bahnmitarbeiters, der zweifellos mit vollem Mund seine Dissertation ĂŒber die GrĂŒnde fĂŒr VerspĂ€tungen herunterleiert. Davon verstehe ich nichts, weder akustisch noch sinngemĂ€Ă, dafĂŒr redet die GroĂfamilie in meinem RĂŒcken auch einfach zu laut und spielt zu viel Akkordeon.
Auf der Anzeigetafel flackern die Namen von ZĂŒgen, die niemals hier ankommen werden, weil dieser Bahnhof gar nicht ihr Anfahrtsziel ist, genauso wie die Namen von ZĂŒgen, die schon vor einer halben Stunde laut hupend und ohne Zwischenstopp durch die Bahnhofshalle geschossen sind, begleitet von der Durchsage: Bitte nicht einsteigen. Am Nachbargleis verkauft eine Dame zwei Brötchen zum Preis von einem. Ich wĂŒrde fĂŒr ein Brötchen den Preis von dreien zahlen, wenn sie dafĂŒr wenigstens essbar aussehen wĂŒrden. Nur den Tauben macht das nichts. Es wird alles aufgepickt, was seinen Weg auf den Boden findet: KrĂŒmel, Kippenstummel und links von mir ein gerade gestĂŒrztes, nun plĂ€rrendes Kind. Die Taube packt es, fliegt es in die Höhe und im nĂ€chsten Moment aus meinem Blickfeld heraus.
Der Sommer, der beflĂŒgelt, denke ich und wĂŒnsche der Taube einen angenehmen Flug Richtung SĂŒden bei diesem Schneetreiben.
Ich frage mich, wohin ich eigentlich will. Ich weiĂ, dass ich wegwill, wegmuss, aber meine Optionen kenne ich nicht. Ich habe keinen Reiseplan, kenne keine Zugverbindungen und bin auch sonst eher unvorbereitet in diesem Chaos hier. Fahren oder nicht fahren, das ist hier die Frage! Oder mit anderen Worten: Kommâ ich hier weg oder brauchâ ich ein Zelt? Der Taxifahrer, der in seinem gelben Auto ĂŒber Gleis 13 hinwegfĂ€hrt, winkt mir zu und lĂ€dt ein Ă€lteres PĂ€rchen in Bermudashorts und Hochzeitskleid in seinen Kofferraum. Das GepĂ€ck verstaut er auf dem RĂŒcksitz.
So und nicht anders sieht es in meinem Kopf aus. Lauter Quatsch, Sinnlosigkeiten, UnverstĂ€ndliches und völlige Anarchie. Oft ist es so, als wĂŒrde mir ein wichtiger Teil an Information fehlen, um den Sinn hinter einer Geschichte zu entschlĂŒsseln und zu verstehen ⊠zu verstehen, was hier eigentlich abgeht!
FĂŒr die KreativitĂ€t förderlich, fĂŒr die Konzentration â eher nicht. Lauter Ideen, lauter Gedanken, laute Gedanken. Gedanken ohne Ende und ein Ende ohne Anfang. Wie tausende verknotete SchnĂŒre, ein schlecht gefaltetes Origami, der Gordische Knoten meines Verstandes. Verstand? Ich verstehe nicht und habâ auch nie so recht verstanden, also ist diese Bezeichnung wohl eher fehl am Platz.
Aber das macht nichts. Das alles, das muss nur raus. Alles, was ich denke, das muss raus. Und weil ich denke, schreibâ ich.
© MelBAnders 2023-08-27