von RechtSchoen
Schnee, Schnee, Schnee – Schnee wohin ich seh‘ …
Endlich wieder Schnee. Früher habe ich es gehasst, früh aufzustehen und die Gehwege freizumachen – heute liebe ich es die Schneeschaufel durch den frischen Schnee gleiten zu lassen, die Schneeflocken im Gesicht zu spüren und die kalte Luft einzuatmen: Es gibt kein besseres Workout am Morgen!
Sie atmet tief ein und lauscht. Wie still es ist, wenn Schnee fällt. Dann hört sie Unruhe; ein Fußgänger schimpft, weil der Gehweg des Nachbarn noch nicht geräumt ist. Ach herrje, ehrlich gesagt, rutscht man auf frischem Schnee weniger aus als auf festgefrorenem Restschnee – aber „Ordnung muss sein“ ist für viele das höchste Gebot. „Die Schnee- und Eisbeseitigung sowie das Streuen haben so zu geschehen, dass die Gehwege bzw. die Gehstreifen auf Fahrbahnen während der üblichen Verkehrszeit ohne Gefahr von Fußgängern benutzbar sind. Die übliche Verkehrszeit beginnt an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen um 8.00 Uhr, im übrigen um 7.00 Uhr und endet jeweils um 21.00 Uhr.“ So sieht es eben nach der kommunalen Satzung aus und wenn man dem nicht nachkommt, dann hat man eine Verkehrssicherungspflicht verletzt und haftet, wenn jemand ausrutscht. Das kann teuer werden. Sehr teuer.
Wieder im Haus, streift sie sich das Stirnband ab, auf welchem noch ein paar Flocken glitzern. Am meisten freut sie der Schnee für die Kinder. Endlich Schlitten fahren, Schneemann bauen, Schneeflocken mit der Zunge fangen und Schneeballschlachten, da hat das Kleinkind an den letzten richtigen Schnee vor zwei Jahren gar keine Erinnerung mehr dran.
Am Schreibtisch holt sie dann auch der Schnee blitzartig ein. Vorweihnachtszeit, Kettenbriefzeit. Kettenbriefe = Schneeballsystem. Eine Nachricht von einer Freundin, mit dem Aufruf ein Weihnachtswichtel in Form der „Geheimen Schwester“ zu werden. Man soll ein Geschenk für einen geringen Geldbetrag kaufen und an die erste Person einer Liste zu senden, den Brief an sechs Freundinnen zu schicken und später bis zu 36 Geschenke selbst erhalten. Klingt zu schön, um wahr zu sein. Genau. Wieso? Weshalb? Nun ja, ein bißchen Mathematik und schon erkennt man, dass das System recht schnell nicht mehr funktioniert. Auf Ebene 1 müssen 6 mitspielen. Auf Ebene 2 6 x 6 = 36; dann 36 x 6 = 216. Auf Ebene 7 müsste dann schon fast eine halbe Großstadt dabei sein (46.656 geheime Schwestern). Es ruft ihr Gewissen: soll sie sagen, dass das Quatsch ist oder ist sie dann der Spielverderber? Stellt sie andere bloß? Lässt sie andere als vermeintlich dumm oder naiv erscheinen, wenn sie das als unrealistisch und gar „betrügerisch“ kommentiert. Oft fragt sie sich das. Soll man sie glauben lassen? Glauben an das Gute im Menschen? Was würde man ihr übel nehmen?
© RechtSchoen 2024-01-23