Es war seine Idee gewesen den Todestag von Mom hier zu verbringen. Die Reservierung hat Dad schon vor einem Monat getätigt und ich habe zugestimmt. Weil ich lieber mit ihm irgendwo schick essen gehe, als dabei zuzusehen, wie er sich am Whiskey-Vorrat von Grandpa Jones vergreift. Zu welchem er seit letztem Jahr keinen Schlüssel mehr hat. Die Geschichte dazu ist eindeutig zu lang, aber fürs Protokoll: Man kann viel über Emmanuel Jones – auch bekannt als mein Vater – sagen, aber Alkoholiker ist er nicht. Mehr so zu speziellen Anlässen. Okay – wem mache ich hier überhaupt was vor – zu Moms Todestag.
„Was wünschen sie zu essen? Gratinierte Miesmuscheln sind äußerst empfehlenswert, sowie Lachs garniert mit Kaviar.“ Kaviar, warte – das sieht doch aus wie Chiasamenpudding, besteht aber aus Fischeiern. Auf die Erkenntnis folgt mein Würgreflex, den ich nur mit Müh und Not zurückhalten konnte. Wer isst, bitte schön, freiwillig Fischeier? Widerlich. „Ich sehe schon. Du wirst dir auf jeden Fall Kaviar bestellen.“ Der neckende Tonfall in Dads Stimme ist schwach, aber da. „Sicher doch. Ich hoffe, du hast einen Plastiksack dabei.“ Wir tauschen noch weitere bedeutungslose Worte aus, die unsere Augen zum Strahlen bringen. Oder vielleicht ist es doch nur das Licht des Kronleuchters. Irgendwann bestellen wir – kein Kaviar. Ich Tagliatelle mit Meeresfrüchten, Dad gratinierte Miesmuscheln. Der Rest des Abends zieht an mir vorbei. Wir reden; ich kann mich nur nicht erinnern über was. Der Wein schmeckt nicht übel. Es gibt zwei Arten von Menschen. Diejenigen, die Wein mit Adjektiven wie blumig, erdig, fruchtig, frisch, gehaltvoll, harmonisch, herb, lebendig, leicht, rassig, samtig, schwer, spritzig und vollmundig beschreiben. Und die, die einen Chardonnay Jahrgang 2009 mit „nicht übel“ betiteln. Ich gehöre eindeutig zu letzteren. Bis vor wenigen Stunden wusste ich noch nicht mal was ein Chardonnay überhaupt ist. Schließlich kommt der Kellner und Dad bezahlt die überaus gesalzene Rechnung. „Danke für diesen wunderschönen Abend Prinzessin.“ Seine Augen glänzen verdächtigt. „Du siehst aus wie sie.“Amelia Jones – ja das liegt daran, dass sie meine Mutter war.
Fünf Minuten später. Vielleicht auch zwei. Wer weiß das schon. Wir stehen draußen. Ich halte Dad im Arm und streiche ihm sanft über den Rücken. „Hey alles ist gut. Alles wird gut“ Und hier stehe ich, während ich etwas verspreche, dass ich nicht halten kann. Schockierend. Vielleicht wäre es weniger gelogen, wenn ich selber daran glauben könnte. „Komm Dad. Laufen wir zurück nach Hause.“ Zurück nach Hause. Ein Zuhause ohne Mom. An keinem anderen Tag war es mir so bewusst wie an ihrem Todestag. Dass sie nicht da war, meine ich. Irgendwie habe ich es schließlich geschafft Dad ins Bett zu bringen. „Alles wird gut.“ Ein gute Nacht Kuss, den er nicht erwidert; der Geruch nach Wein. Leise schließe ich die Schlafzimmertür hinter mir und kuschele mich in meine Bettdecke. Alles wird gut, versprochen.
© 2021-08-15