Von Zeit zu Zeit seh´ ich den Alten gern

Cornelia Morhardt

von Cornelia Morhardt

Story

Seine Falten sind tief und seine Augen so schwarz, dass jeder lustige, helle Glanz darauf erst recht betont, dass es zwei auffallend rege und wissbegierig umher huschende Knöpfchen sind. Und das in einem – und das ist das Faszinierende – nun beinahe schon ein Jahrhundert lang lachenden Gesicht. Als er sagte, er würde gerne mal in meinem Cabrio mitfahren, habe ich ihn eingeladen. Ein sonniger Tag, Dach auf, gemeinsam Zeit verbringen.

Vor Kurzem, spät am Abend klingelt das Telefon und er muss mir unbedingt erzählen, dass er sich ganz neu eingekleidet hat. Ich soll doch rüber kommen , um seinen neuen Look zu begutachten. Für die Ausfahrt hat er extra sein neu erstandenes und geschmackvolles Outfit angezogen. Nebst sehr moderner Sonnenbrille.

„Das ist wirklich ein tolles Auto. Ich muss sagen, das haste gut ausgesucht!“ Seine weißen Haare wehen im Fahrtwind und er lehnt entspannt grinsend auf dem Beifahrersitz.

Den Restaurantbesuch genießt er, aber der gertenschlanke Mann sagt: „Heute will ich nicht viel essen, ich hab an Gewicht zugenommen!“ Er zittert etwas Reis auf seinen Teller und hat Schwierigkeiten, seine Serviette auf dem Schoß zu behalten, gleichzeitig auf sein Glas aufzupassen und das Besteck zu koordinieren, aber er parliert.

Sätze wie, “Ich hab heute meine Schallplattensammlung aufgeräumt! Das musste ja endlich mal gemacht werden!“ oder

„Nun hat die Landesregierung endlich die neue Straßenführung da genehmigt. Aber die Umsetzung werde ich ganz sicher nicht mehr erleben.“

bringen mich zum Schmunzeln und Nachdenken gleichzeitig.

So schwächlich und zerbrechlich auch sein Körper, so rege und wach sein Geist. Nicht mehr die ganze Zeit. Er vergisst hier und da auch mitten im Satz, was er grade erzählen wollte. Ein bisschen wagnerisch interessiert er sich nicht sonderlich dafür, was die Welt im Innersten zusammen hält. Die Tiefe ist sein Gesprächsthema nicht. Dennoch ist er sehr belesen.

Wenn er wortgewandt von seinem akademischen Werdegang erzählt, dann ist das auch seine Geschichte vom Krieg. „Ich hab nie Angst gehabt im Leben. Wir haben damals alle nicht gewusst, wie was wird. Wir haben einfach gemacht. Wir haben gar keine Zeit gehabt, viel nachzudenken und schon gar nicht zu planen. Wir haben überleben müssen. Und ich hab ja auch viel Glück gehabt.“

Nicht mehr viele verbinden mit seinem Namen die wichtige Persönlichkeit, die er in der Stadt einmal war. Ich werde nicht müde, neugierig zu fragen, wie sich das Leben anfühlt in seinem Alter. Er versteht dieses Anliegen gut und erzählt mir offen davon.

“Ich hab viel zu viel gearbeitet in meinem Leben. Hätte mehr feiern sollen. Aber mit wem soll ich denn jetzt noch meinen nächsten runden Geburtstag feiern? Ist doch keiner mehr da! Sind doch alle längst tot! Mit dir feiere ich gerne! Prosit!“

Es ist offensichtlich, dass dieser steinalte Mann sehr viel geleistet und nie die Hände in den Schoß gelegt hat, aber er versteht es, den Moment zu genießen.

Bewundernswert.

© Cornelia Morhardt 2020-08-28

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