von Flaco
die kinder sind im krabbelalter und es ist zeit, aus meiner studentenbude in etwas größeres umzuziehen. ein freund zieht nach miami, weil er ein angebot für eine „artist in residence“ stelle im sonnigen florida hat. juan, afrokubaner, für sein alter (jenseits der sechzig) ein energiebündel. er ist bildhauer, gibt salsa tanzunterricht und arbeitet auch als dj, als solcher nennt er sich „el brujo“, was man wohl am ehesten mit „der voodoo priester“ übersetzen würde, obwohl voodoo eine form dieser ursprünglich afrikanischen religion ist, die in haiti betrieben wird. in kuba nennt man es „santerismo“, von „el santo“ (der heilige).
globalisierung gibt es nicht erst seit gestern. millionen versklavter afrikaner wurden vor dreihundert jahren nach südamerika verschleppt. nachdem sie ihre götter unter den katholischen herren nicht mehr öffentlich verehren durften, huldigen ihnen viele bis heute in gestalt der christlichen heiligen.
juan ist für eingeweihte anhand seiner halsketten als hoher priester des santerismo erkennbar, mit einer familientradition, die sich über viele generationen erstreckt. (die jetzt in wien von seiner nichte weiter geführt wird). er ist befugt rituale durchzuführen, die überraschender weise nicht in rauchigen hippie wohngemeinschaften sondern in den besten gegenden wiens hinter hohen mauern stattfinden und er wird auch schon mal zu diesem zweck nach paris oder london eingeflogen.
als wir aus anlass meines geburtstages mit familie und freunden ins kasino aufbrechen, fallen meiner mutter fast die augen aus dem kopf, als ein älterer schwarzer herr einen mund voll bier über die anwesenden versprüht (brujeria). ich habe an diesem abend immerhin so viel gewonnen, dass ich mit der hälfte die gesamte barrechnung übernehmen konnte. (die andere hab ich wieder verspielt). auch wenn ich selbstverständlich nicht an hexerei glaube, so war es eben.
juans wohnung ist groß, hell, nicht zu teuer und wir können sie voll eingerichtet und ausgestattet übernehmen. bedingung ist nur, dass die verschiedenen fetisch altäre und die dazugehörigen opfergaben von ihm persönlich in einem ritual entfernt werden müssen.
der heiligen barbara, die den donnergott shango der yoruba repräsentiert, opfert man gerne süßigkeiten. shango mit seiner doppelaxt ist auch der gott der trommel, des tanzes und der unterhaltung.
wer je zwei krabbelkinder gleichzeitig gehabt hat, weiß, dass man höchstens eines davon abhalten kann, das am boden verstreute zuckerwerk bedenkenlos in den mund zu stecken. ich hoffe der mächtige shango nimmt es meinem sohn nicht übel, dass er ihm seine schokolade geklaut hat.
mein sohn wohnt immer noch in der wohnung des „brujos“. bisher sind jedenfalls keine gröberen auswirkungen von shangos schokolade aufgetreten. dass er jetzt, fast zwei jahrzehnte später, ftm (film, theater und medienwissenschaft) studiert, hat wahrscheinlich nichts mit dem gott der trommel zu tun. wahrscheinlich, oder?
© Flaco 2020-06-22