von Beederl
DIESE Zeit eignet sich ganz besonders, um zurückzuschauen. Nein, nicht unbedingt auf Spektakuläres – weder positiver noch negativer Natur. Es erschien mir gerade das Gefühl, auf prägende Momente der Kindheit zu blicken, auf Episoden. Sie laufen ganz weit drinnen ab, sind in Frieden abgespeichert, ja oft verschüttet. Und so muss ich durchaus auch die Augen schließen und nachdenken, was ich sonst nicht so gerne tue, weil Wehmut in den Ecken lauert.
Wir radeln auf der wenig befahrenen Straße Richtung kleines Dörflein, meine Mutter auf ihrem alten, klapprigen Rad und ich auf meinem kleinen. Es dauerte sicher ein paar Stunden bis wir bei meiner Oma am Kleinhäusler-Bauernhof ankamen. Tasso, der liebe Schäferhund begrüsste uns überschwänglich, meine Oma freute sich. Wir blieben nicht allzu lange, heimsten alles Selbstgemachte ein, Eier, Milch, Schmalz, Fleisch und Obst, bevor wir wieder die Heimreise antraten.
Der Feldweg – egal welches Wetter, rechts die Hagebutten- und Schlehenhecke, links die Wiese, das Feld und der Wald, leicht abschüssig. Wir gehen hinter- und nebeneinander, oft ein wenig unmutig, oft tratschend – meine Eltern, meine Oma und ich als Kind. Und als meine Kinder dann da waren – sie auch dabei, alle Anderen um diese entsprechenden Jahre gealtert. Meine Oma war dann die Urli und bis ins hohe Alter rüstig und überhaupt nicht gebrechlich. Armselig und krank zu sein war in meiner Familie nicht vorgesehen, dass man es zeigte, Gefühle gab es nicht, die schluckte man hinunter, Freude wurde verhalten zur Kenntnis genommen.
Besonders bemerkt und besprochen wurde die Natur, das, was wir dabei sahen. Mein Vater und meine Oma erzählten von Blumen und Bäumen und Tieren und dazupassenden Erlebnissen ihres Lebens und ihrer Kindheit. Für dieses naturnahe Aufwachsen bin ich heute noch dankbar. Ich konnte es meinen Kindern weitergeben und diese wiederum sind mit Freund nach dem Studium wieder back-to-the-roots gezogen, um dort/da ihre Kinder zu kriegen, haben schöne Wohnungen und tolle Jobs hintengelassen, um am Land zu leben – wie schön!
Die markante Hütte hoch oben am Felsen war das Ziel des Spaziergangs (heute würde man Wanderung sagen). Sie gibt es noch. Meine Tochter steuert sie jedesmal an, um einer neuen Freundin oder der ehemaligen Kollegin aus Wien dieses Kleinod zu zeigen – Fotos inklusive. Die Hütte ist nach allen Seiten hin offen, einladend, wenn schönes Wetter ist. Man zwängt sich auf die schmale Bank am schmalen Tisch und alles innen ist beschnitzt und bekrickselt. Ich suche meinen Eintrag – fünfzig Jahre alt!
Ziemlich genau vor dieser Zeit – wie das in stockfinsterer Nacht gegangen ist, kann ich mir nicht mehr vorstellen, gingen wir zu viert nach der Disco genau dorthin – kilometerlang im Finstern. Daneben rauschte der Fluss, der Aufstieg zur Hütte beschwerlich. Doch dort auf der engen Bank um Mitternacht konnte man mit der soeben gemachten Bekanntschaft ganz herrlich lachen und schmusen – welch eine Wonne.
© Beederl 2021-12-07