Vor meinem Schloss

Lostinmyliterature

von Lostinmyliterature

Story
2021

Ich möchte fliehen. Das ist es, was ich möchte. Sag mir wie, sag mir wo, sag mir wann. Ich möchte fliehen. Hilf mir zu fliehen, ermögliche es mir. Denn alles stellt sich in den Weg.

Alle meine Mauern, alles wurde herabgerissen. Ich habe sie herabgerissen. Alles, was ich sorgsam aufbaute, habe ich selbst zerstört. Und jetzt sind sie weg. Ich könnte sie wieder aufbauen, aber wofür? Diese Wände sind nie dafür geeignet gewesen, lange zu stehen. Sie waren nie gut. Das einzige, was sie hielt, war ich. Meine sorgsame Pflege. Aber diese Pflege hat mich wahnsinnig gemacht. Also wie gesagt, sie waren nie dafür geeignet, lange zu stehen. Aber ich habe es ignoriert.

Ich brauche diese Mauern, sie beschützten mich, sie verdecken die Sicht auf mein Schloss. Denn mein Schloss darf niemand sehen. Mein Schloss will niemand sehen, sie alle werden mich verurteilen, wenn sie es sehen. Mein Schloss sieht nämlich nicht aus wie alle anderen Schlösser, manche würden sie als schräg oder abnormal bezeichnen. Sie würden über mich und mein Schloss reden, sie würden auf mich herabsehen. Wie soll ich mein Schloss diesen Menschen zeigen können? Sie werden mich verurteilen, ausschließen, es mir unmöglich zu machen, unter ihnen zu sein. Deshalb brauche ich meine Schutzmauern. Deshalb liebe ich meine Schutzmauern.

Alles verstecke ich hinter ihnen und glaubt mir, diese Mauern zu bauen ist schwer. Es ist so schwer, weil sie nicht echt sind. Ich kann solche Mauern nicht bauen, nur mein Schloss. Und das reicht der Welt aber nicht. Also muss ich Schutzmauern bauen, die so scheinen müssen, als wären sie echt. Diese Pflege, diese Aufmerksamkeit braucht so viel Arbeit, dass es mir meine Zeit im Schloss wegnimmt. Manchmal arbeite ich so lange an den Mauern, dass es schon dunkel wird. Dann finde ich den Schlüssel nicht mehr und muss draußen bleiben. In solchen Zeiten ist es besonders schwer, mich um die Mauern zu kümmern, denn Essen, Trinken und Schlafen kann ich nur im Schloss. In meinem Schloss.

Ich war eine Zeit lang ausgesperrt, ich bin es noch immer. So viel Zeit ohne Schlaf, Essen und Trinken hat mich wahnsinnig gemacht. Also habe ich sie zerstört. Alle. Und sie alle haben mir zugesehen. Meine Mauern sind weg. Ein Tunnelblick aus der Verzweiflung hat es mir ermöglicht, alles niederzureißen, was ich einst aufgebaut habe. Was mir ein Leben verschaffte, mein Weg ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Was ich liebte.

Aber sie sind weg.

Ich kann nicht aus.

Weg, wie der Schlüssel meines Schlosses.

Ich kann nicht ein.

Darum muss ich fliehen. Darum möchte ich fliehen. Sag mir wie, sag mir wo, sag mir wann.

© Lostinmyliterature 2021-09-12

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