von Luca Körnich
Wir sehen uns eine längere Zeit nicht. Er ist auf Reisen. Hat eine Ausstellung. Ist Künstler neben seinem Studium und für sein Alter ungewöhnlich erfolgreich damit. Der Kontakt bricht trotzdem nicht ab. Er lässt mich teilhaben, schickt Fotos und lange Sprachnachrichten. Ganz als hätte ich einen Newsletter auf seinen Namen abonniert. Nach einem FaceTime-Anruf wird mir klar, wie anstrengend, dass alles für ihn ist. Er wirkt gehetzt. Innerlich unruhig.
Kaum ist er wieder in der Stadt, verabreden wir uns. Trotz nicht wirkendem Aspirin und einem Virus, der sich durch eine fiebrige Stimmung ankündigt. Wir wissen beide, dass er eigentlich in sein eigenes Bett gehört. „Friends gucken und Wasser trinken?“, fragt er, kaum dass wir die Tür zu meinem Zimmer schließen. „Und einfach bei dir sein“, flüstert er noch. Nach nur einer Folge schläft er auf meiner Schulter ein. Am nächsten Morgen ist er richtig krank. Er kann kaum aufstehen. So schläft er weitere ganze zehn Stunden am Stück und ich sitze am Schreibtisch und verfluche meine Hausarbeit.
Als er abends geht, bin ich nachdenklich. Genauso die nächsten Tage, die schwierig sind. Er meldet sich kaum. So vergeht eine ganze Woche, bis wir uns wiedersehen. In einem lieblos eingerichteten Café, dass nur ein paar Straßen vom Bahnhof entfernt liegt. Zum ersten Mal trägt er seine Brille und kein Parfum. „Bei dir kann ich so gut zur Ruhe kommen“, beginnt er das Gespräch. „Das ist unglaublich. Ich könnte meinen Kopf auf die Tischplatte legen und sofort einschlafen, aber das ist nicht gut. Das kenne ich aus meiner letzten Beziehung, die sehr symbiotisch war. Ich dachte, ich hätte es heute besser im Griff.“ Ich nicke. Ich weiß, was er mir damit sagen will. Wir sind beide still. „Das zwischen uns war etwas sehr Aufrichtiges, oder nicht?“, sagt er nach einer Weile. Den Blick auf seine Tasse gerichtet. „Das kenne ich so gar nicht. Bisher waren Beziehungen, die ich hatte, viel schneller aufs Körperliche fokussiert.“ „Warum ist das so?“, frage ich, nachdem ich seine Worte ein wenig auf mich wirken gelassen habe. „Warum nehmen wir uns oft so wenig Zeit? Haben wir so viel Angst davor, alleine zu sein?“ Für einen Moment zieht er die Brille aus und streicht sich müde über die Augen. „Ja“, sagt er dann nur und steht auf. „Ich sollte jetzt wohl besser gehen.“ Ich bringe ihn, was sich kein bisschen komisch anfühlt. Vor der Eingangshalle des Bahnhofes bleiben wir stehen. „Willst du, dass ich noch mit reinkomme?“ Er lächelt. „Das fände ich schön.“ Darauf hält er mir die Tür auf und wir suchen das Gleis, gehen noch ein paar unschlüssige Schritte und umarmen uns dann. Er berührt meinen Arm mit einem festeren Druck als sonst. „Du machst das alles richtig“, sagt er, „du machst das gut.“ Dann geht er und ich gehe auch.
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal auf einem nach Hause Weg so viel geweint habe. Warum fühlt sich das an wie eine Trennung?
© Luca Körnich 2022-07-26