Vorfrühling in Innsbruck

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story

Wir schlendern durch den Hofgarten – die Winterjacken um den Bauch gebunden. Es ist Aufbruchstimmung. Auf Decken, Isomatten und Pappkartons sitzen und liegen junge Leute; die einen plaudern, die andern lesen, wieder andere spielen Karten. Ein Mann und eine Frau machen die unmöglichsten Verrenkungen und Hebefiguren – wahrscheinlich Akrobaten oder Tänzer, die im Freien trainieren. Kleine Kinder laufen kreuz und quer, jagen Tauben hinterher und jauchzen vor Lust. Daneben bohren die ersten Schneeglöckchen ihre weißen Köpfchen durch die Erde. Vorgestern war da noch Schnee. Hebt man den Blick zum Himmel, sieht man unzähligen Ästchen der majestätischen uralten Bäumen schon mit sanftem Rot überzogen, bereit ihren Saft den Blättern und Blüten zur Verfügung zu stellen. Geduld – der Winter kommt noch einmal zurück! Wartet – vergebt eure Energie nicht zu früh, wenn auch die Verlockung groß ist. Die warme Sonne bringt den Impuls hervor, auszuschlagen, aufzubrechen. Eine laue Luft weht durch die heitere erwartungsvolle Stimmung – es wird Frühling!

Die Schachspieler am Rennweg, die auch im Winter tief vermummt ihrer Leidenschaft frönen, bewegen die kniehohen Figuren leicht bekleidet mit Schildkappen und Sonnenbrillen. Die Bänke sind großteils besetzt von Sandlern, die aussehen, als ob sie aufgetaut würden. Entlang der Innpromenade lustwandeln Spaziergänger. Jogger bahnen sich slalomartig ihren Weg durch die wärme-trunkenen Passanten. Hunde versuchen ihren Leinen zu entkommen. Auf den noch spärlich aufgestellten Bänken sitzen ältere Menschen in Gedanken versunken, ein Lächeln ihr Gesicht erhellend. Auf den Steinen direkt beim Inn sonnen sich kleine Gruppen von Studenten, die Gitarre in Reichweite. Sie werden auch den Abend hier verbringen, vielleicht mit einem Lagerfeuer. Die Firnfelder der Nordkette glitzern und glänzen – da hat das Goldene Dachl keine Chance, mitzuhalten. In der Maria-Theresien-Straße rund um die Annasäule führen Kinder ihr Rad zum ersten Mal aus und Mädchen schlendern mit schulterfreien Blusen und Miniröckchen an den Schaufenstern entlang. Geduld! – möchte man ihnen zurufen, es ist noch Winter, verkühlt euch nicht! Aber nein, sie sind jung, wir waren auch nicht anders!

In der mild belüfteten Altstadt haben die ersten Eisdielen geöffnet. Man begegnet vielen Menschen in T-Shirts, Eistüten in der Hand. Am Marktplatz hat der zauberhafte Leichtsinn des Vorfrühlings das Regiment vollends übernommen. Der Boden ist übersät mit Leuten, die vereinzelt, zu zweit oder mehreren hier sitzen – mangels der Straßencafes. Coffee to go, Limonadenbecher und Thermoskannen haben coronabedingt die Verpflegung übernommen.

Frühling auf Vorschuss hat es Erich Kästner genannt: Im Grünen ist’s noch gar nicht grün. Das Gras steht ungekämmt im Wald als sei es tausend Jahre alt. Hier also, denkt man, sollen bald die Glockenblumen blühn? Doch wer das Leben kennt, der kennt’s und sicher wird’s in diesem Jahr so, wie’s in andern Jahren war. Im Walde sitzt ein Ehepaar und wartet auf den Lenz. Man soll die beiden drum nicht schelten, sie lieben die Natur und sitzen gern in Wald und Flur. Man kann’s ganz gut verstehen, nur: sie werden sich erkälten!

© Christine Sollerer-Schnaiter 2021-02-22