Vorgetäuschte Entrückung

von Jamal Tuschick

Story
In der Gegend von Philippsthal an der Werra im osthessischen Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Die Isola Bella steht für das moderne Verbrechen, während im Eisensteiner Stier die eingesessenen Gangster an ihrem Stammtisch vergreisen. Ihre Grundstücke nennen die dynastischen Kraichhainer Länder, wie zu den Zeiten, als man noch Güter herrschaftlich bewirtschaftete. In den 1960er Jahren kaufte Adems Großvater von ihnen spekulativ Äcker, die dann doch nicht Bauland wurden.

Man spielte dem alten Zauberer übel mit. Kein Geburtsrecht sicherte ihm einen Platz in der Fraternität Marienwerk, die sich auf eine vom Papst bedachte Gemeinschaft beruft und einen informellen Senat bildet, an dem kein Bürgermeister vorbei regieren kann. Die organisierte Nächstenliebe reicht von der Geldwäsche bis zum Exorzismus.

Teufelsaustreibungen sind eine Spezialität der Bruderschaft, in der Schwestern mittun. Austreibungen finden weltweit statt. Eine im Vatikan archivierte Schirmherrschaft des von Karl dem Großen gegründeten Königsklosters Neustadt am Main schützt die religiöse Bande. Das ist eine mafiöse Struktur. Dagegen erscheint Luciano Montana als Waisenknabe, jedenfalls so lange niemand ins tödliche Detail geht. Der kalabrische Pate gönnt sich ein Eis auf dem Rathausvorplatz. Nicht zum ersten Mal sucht er sein Verhältnis zur Kunst vor Ort. Aus einem mit Kopfsteinpflaster verniedlichten Oval ragt eine Stele. Der Künstler ist in der weiten Welt vollkommen unbekannt. Interessanterweise fordert sein Beitrag zur Moderne im öffentlichen Raum keinen Bürgerunmut oder jugendlichen Vandalismus heraus. Bisher gab es keine Verschönerungen, die entfernt werden mussten. Ein Protegé der Kraichhainer Kulturbeauftragten Therese Gerster hat das Werk verbrochen. Die Nichte der Bürgermeisterin steht im Mittelpunkt eines Auflaufs vor dem Café Arkana. Eine der schrägsten Gestalten des Landkreises erweitert gerade den Kreis. Der Modelleisenbahner und Hobbyfotograf Olm gestaltet gemeinsam mit Therese den Heimatkalender Landliebe. Er zeigt Leute wie du und ich zwischen Tür und Angel einer restaurierten Backstube, auf dem Traktor oder elegisch mit Forke vor einem Misthaufen. Therese selbst hat sich auf einer Eisenbahnbrücke mit traumhaften Bögen im Zustand vorgetäuschter Entrückung fotografieren lassen. Olm ist seit seinem vierzehnten Lebensjahr in der freiwilligen Feuerwehr aktiv. Als Thereses Hoffotograf hat sich der Spanner neu erfunden. Er verkörpert jetzt eine um sich greifende Persönlichkeit, nach Jahren, in denen sein Leben geschlossen hatte wie ein Edeka am Sonntag (in den 1970er Jahren). In den Heftchenromanen vom Bahnhofskiosk kamen seine Vorlieben nicht vor.

Rausch als Antwort auf die Erfahrung Einsamkeit. Olm stand noch nicht einmal das Volkshochschulvokabular für seine Wünsche zur Verfügung. Saß er mit der Mutter vor dem Fernseher, dachte es mörderisch in ihm: Die Alte hat Schuld. Sie hat das Monster zur Welt gebracht. Alles war alt. Die Decken, das Sofa, der Fernseher. Das Haus, die Fensterläden, der Aufgang. Alles sah so aus, als wäre es schon immer alt gewesen. Auch die Mutter sah so aus. Ihre Liebe gab sich nicht zu erkennen. Dabei hätte einen die Mutter doch wenigstens lieben müssen, wenn sie sonst schon nichts für einen tun konnte.

© Jamal Tuschick 2024-04-28

Genre*
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich
Hashtags
Magie, Migration, Landlust, Provinzpower