von Lena Nausch
Langsam atmete Emma den Rauch ihrer Zigarette aus und unterdrückte den Drang zu husten. Eigentlich rauchte sie nicht, aber sie hatte es sich in stressigen Situationen zur Angewohnheit gemacht.
Sie lehnte sich in ihrem ledernen Ohrensessel zurück und hielt sich die Kontoauszüge vor die Augen. Das Geld, das Ben ausgab, hatte sie nie gestört. Es interessierte sie lediglich, wohin es floss, damit sie nachvollziehen konnte, welche Strategien ihr Ehemann verfolgte. Auch wenn er glaubte, dass Emma keinen blassen Schimmer davon hatte, was er machte, war das Gegenteil der Fall. Sie wusste über jedes Geschäft, jede Transaktion und jede noch so kurze Mail in seinem Leben Bescheid. Manchmal wusste sie sogar, was in naher Zukunft passieren würde, da sie ihn lange genug studiert hatte, um seine Denkweise nachvolliehen zu können.
Das war das kleine, aber feine Detail, das Bens Karriere so makellos machte.
Ohne es zu wissen hatte er im Hintergrund ein berechnendes Genie, eine Koordinatorin, die schaute, dass sein Leben in geregelten, stetig nach oben führenden Bahnen verlief.
Mehr als einmal hatte sie kleine Fehler in Verträgen ausgebessert, Fehlentscheidungen unauffällig korrigiert und anschließend überrascht reagiert, wenn Ben nach Hause kam und ihr erfreut von den „Zufällen“ erzählte, die ihm widerfahren waren.
Doch diesmal war es anders. Das, was sie im Inbegriff war zu tun, war keine Kleinigkeit, sondern eine Entscheidung, die Bens gesamten Erfolg entweder retten oder zerstören konnte. Dennoch war sie gezwungen, diese unsichtbare Grenze zu überschreiten, um den Ruf ihres Ehemanns zu wahren.
Seufzend nahm sie das Telefon von der Gabel und wählte die Nummer, die sie sich auf einem Post-it notiert hatte. Sie hatte das alles schon viel zu lange hinausgezögert. Es wurde Zeit zu handeln, bevor etwas irreparabel in die Brüche gehen würde.
Während das Freizeichen ertönte, zog Emma nochmal an der Zigarette und drücke sie anschließend aus.
„Sullivan“, meldete sich eine knarzende Männerstimme am anderen Ende der Leitung.
Emma schluckte. „Guten Tag, Herr Sullivan, hier ist die Frau von Ben Sanders. Ich soll Ihnen von meinem Mann ausrichten, dass der Deal nicht zustande kommen wird. Es gibt zu viele ungeklärte Fragen und er ist nicht bereit, so viel für das bisschen zu riskieren, das Sie zu bieten haben.“
„Das hat er gesagt?“, knurrte Sullivan in den Hörer. „Und das kann er mir nicht selbst sagen?“
„Mein Mann ist sehr beschäftigt und er steht zu seiner Meinung. Der Deal ist geplatzt. Rufen Sie ihn nicht mehr an“, sagte Emma kurz angebunden und möglichst kühl, ehe sie auflegte. Mit laut klopfendem Herzen lehnte sie sich zurück und schloss ihre Augen. Sie hoffte, das Richtige getan zu haben und, dass nie jemand dahinter kommen würde.
Sie hatte es für Ben getan, redete sie sich ein. Alles für ihren Ben.
© Lena Nausch 2023-08-17