von Katharina Müller
Die Wahrheit ist, dass ich gelogen habe. Ich habe in erster Linie mich jahrelang selbst belogen, was meine Gesundheit und meine Psyche anging. Ich habe jahrelang verdrängt, dass gewisse Menschen in meinem Umfeld und die Dinge die ich tat, um es diesen Menschen recht zu machen, um etwas Liebe von Ihnen zu erhalten, mir selbst geschadet haben. Ich habe zugelassen, dass sie mich verbiegen, mich selbst verraten und meine Grenzen überschreiten. Nur um etwas Liebe, etwas Anerkennung, etwas Respekt und etwas Wertschätzung zu erhalten. Ich log mir vor, dass ich all das bekomme, wenn ich das tue, was von mir verlangt wird. Mich den gesellschaftlichen Normen anpassen, mich den ungeschriebenen Regeln der Familie unterwerfen, die sein, die ich sein sollte.
Die Wahrheit ist, dass ich auch sie belogen habe. In erster Linie darin, wer ich wirklich war und wer ich wirklich sein wollte. Ich gab Ihnen das, was sie wollten und doch hat es nie gereicht, um das zu erhalten, was ich brauchte. Ich verbog mich, passte mich an, verriet mich selbst und ging über meine eigenen Grenzen.
Die Wahrheit ist, dass ich von Anfang an gespürt habe, wie es mich innerlich zerreißt, nicht die sein zu dürfen, die ich war. In erster Linie spürte ich es daran, dass ich meine Verzweiflung und mein Selbsthass mit schlechten Gewohnheiten betäuben wollte. Als Kind war es Essen, als Jugendliche Zigaretten und bis zu meinem 26 Lebensjahr Alkoholmissbrauch. Der Selbsthass und der mangelnde Selbstwert waren ebenfalls in meinen Beziehungen zu spüren. Ich war nicht in der Lage alleine mit mir zu sein. Wenn ich es war, ertrank ich mich in Alkohol oder in ständigen Beziehungen zu Menschen, die mich schlecht behandelten, weil ich dachte, ich hätte es verdient.
Die Wahrheit ist, dass ich selbst für mein Leid verantwortlich war und bin. Ich habe mich selbst zum Opfer gemacht, weil ich mir selbst nie genug war und weil ich mir selbst nie verzeihen konnte. Ich konnte es mir nicht verzeihen, dass ich mich so unglaublich abhängig von der Liebe, Anerkennung, dem Respekt und der Wertschätzung anderer gemacht habe. Und ich kann es mir heute kaum verzeihen, dass das fast mein wertvolles Leben gekostet hätte.
Die Wahrheit ist, dass das was geschehen ist, nicht geändert werden kann und dass ich natürlich immer so weiter machen kann. Die Wahrheit ist aber auch, dass ich ganz alleine die Wahl habe, ob ich so weitermache oder ob ich mich dafür entscheide, mit dem Selbsthass und der Abhängigkeit aufzuhören. Und beginne mir all die Dinge, die ich von anderen wollte, mir selbst zu geben. Ob ich mir mit Liebe, Anerkennung, Respekt und Wertschätzung selbst begegne. Ob ich mich selbst nicht mehr verbiege, mich nicht mehr anpasse, mich nicht mehr selbst verrate und weder über meinen eigenen Grenzen gehe noch es zulasse, dass sie über meine gehen.
Die Wahrheit ist, dass ich mich natürlich weiterhin selbst belügen kann, weil es scheinbar leichter ist. Die andere Wahrheit ist aber auch, dass ich ebenso den schwierigeren Weg gehen kann, indem ich aufhöre mich selbst zu belügen.
© Katharina Müller 2023-11-05