Was Goethe, Shakespeare, Gauss und Caesar eint

Andreas Trimmel

von Andreas Trimmel

Story

Wenn Schiller die Glocke laut lĂ€utet und Goethe den Faust forsch erhebt, wenn Grass die Blechtrommel rĂŒhrt und Busch die Bolte bestreicht, wenn Pronomen interrogativ Besitz ergreifen und demonstrativ relativieren, wenn der Dativ dem Genitiv sein Sensenmann wird und die Gegenwart mit der Zukunft ĂŒber die Vergangenheit philosophiert, wenn das Verb ein zwielichtiges Subjekt entdeckt und imperativ erschrickt, wenn Meinungsreden verfasst und leserbriefartig erörtert werden, wenn Texte analysiert und Gedichte interpretiert werden, wenn Brecht den Hesse verkĂ€stnert und Musil den Kafka verzweigt 


Wenn Sekanten schneiden und die Passanten verfehlen, wenn Dreieckswinkel auf 180 sind und der WĂŒrfel zum Quadrat verflacht, wenn Pi in die Kurve sich legt und der Kreis gerade tangiert wird, wenn der Zylinder seinen Mantel behĂ€lt und die Pyramide ihre OberflĂ€che putzt, wenn der Winkel hin ins Eck sich stellt und der Zirkel verzweifelt rotiert, wenn Kurven diskutiert und Funktionen differenziert werden und Exponenten in lichte Höhen flugs steigen 


Wenn Homer der Ilias sallustig wird und Horaz zur GĂ€nze den Tage genießt, wenn der Genitiv mit dem Locativ ringt und der Vocativ den Ablativ verprellt, wenn Ovid die Metamorphosen umwandelt und Caesar laut gallisch bellt, wenn Cato bösen Blickes carthaginem esse delendam verspricht und auch der alea iacta est, wenn der Accusativ den Infinitiv dated und plötzlich das PrĂ€dikat Subjekt erlangt 


Wenn Shakespeare den Romeo gibt und Hamlet auf Julia trifft, wenn die Christie den Hemingway vermarplet und Mark als Twain sich verewigt, wenn „the“ Alleinherscher ist und alle Begleiter verdrĂ€ngt, wenn das if-when-Dilemma heraufdrĂ€ut und die since-for-Entscheidung naht, wenn das Geburtstagskind zum Geschenke selbst wird anstatt a present will get, wenn BrontĂ« mit Austen verglichen und Chaucer mit Dickens kombiniert wird 


Wenn, ja, wenn sich all dies wahrlich Wunderliche hier, in diesem Lande, zutrĂ€gt – dann ist Matura-Woche im kleinen Staate Österreich, dann darf die Lieblingstochter eindrucksvoll ihre Reife beweisen.

Mögen Gauß und Abel mit ihr sein und auch Euler sorgsam auf sie schau’n. Mögen Heine und Mann ihr beiseite steh’n und auch die Jelinek sie inspirier’n. Möge Cicero gnĂ€dig ihr sein und auch Joyce wohlgesinnt.

Dann wird nichts mehr schiefgehen, dann halt’ ich’s ganz mit Shakespeare: „All‘s Well that Ends Well“

© Andreas Trimmel 2022-05-05