Waldspaziergang

Jules McShay

von Jules McShay

Story
Heidelberger Wald 2021

Der süßlich volle Geruch von kühler Waldluft an einem Sommertag lag in der Luft. Vereinzelte Blätter knirschten unter meinen Schuhen, doch waren sie noch saftig und grün, der Herbst lag noch in weiter Ferne. Das Singen von Vögeln oben in den Baumkronen, gepaart mit dem Surren zahlreicher Insekten und dem besonders lauten Brummeln der einen oder anderen Biene, die als schneller Luftzug an meinem Kopf vorbeisauste. Das Leben brodelte im Wald.

Ich ging ein wenig abseits der Wege, um alles besser in mir aufsaugen zu können. Man ist zwar langsamer, aber dafür bekommt man mehr mit. Bäume und ihre Rinden erzählen Geschichten. Der Stumpf eines umgestürzten, einstigen Riesen, geschmückt mit ockerfarbenen Pilzen. Eine schwarze Perlenkette wanderte ihn entlang, die bei näherer Betrachtung eine Ameisenstraße war. Sträucher, Gras und Kräuter auf dem moosigen Boden. Alles grün, saftig, voller Leben. Ich höre es hinter mir rascheln. Langsam drehe ich mich um, damit keine Vögel oder sonstigen Tiere verschreckt werden. Was ich sehe lässt mich innehalten, ja geradezu erstarren. Ich war schon oft im Wald, auch diesem hier unterwegs, doch das sehe ich zum ersten Mal.

Zwei kleine, spitze, pelzige Ohren. Ein paar Augen, deren Farbe irgendwo zwischen Haselnuss und Bernstein liegt. Orange-rötlich-braunes Fell und eine spitz zulaufende Schnauze. Die Pupillen weiten sich bei mir und dem kleinen Fuchs. Er sieht mich zum ersten Mal in seinem Leben und ich sehe zum ersten Mal einen kleinen Fuchs in meinem. Neugierig schnuppert er, die kleine Nase zuckt und er leckt um seinen Mund. Vorsichtig kommt er aus dem Strauch heraus getappt, in dem er vor mir bis zu diesem Moment versteckt lag.

Ich frage mich, ob seine Mutter irgendwo in der Nähe ist, oder ob er schon alt genug ist selbst auf Reisen zu gehen. Der Kleine kommt immer näher, bis er schließlich vor mir sitzen bleibt und nach oben blickt. Er scheint zu begreifen, dass mein Gesicht hier oben ist und ich nicht auf allen Vieren gehe wie er. Ich strecke vorsichtig die Hand aus, als mir einfällt, dass man Jungtiere von Füchsen nicht berühren sollte. Der menschliche Geruch kann die Eltern verunsichern. Darum halte ich in der Bewegung inne.

Dem Fuchs scheint dies nicht bewusst, oder egal. Er quietscht auf eine eigentümlich fröhlich-wirkende Art bevor er seinen Kopf an meinen Beinen reibt und dagegen presst. Er schmiegt sich an meine Schuhe und mein Schienbein, rollt sich auf den Rücken und hat die Schnauze geöffnet, sodass es aussieht, als würde er lachen. Dabei quietscht und gluckst er weiterhin vor sich hin. Fast wie ein Hundewelpe, denke ich bei mir. Ich bleibe, trotz des innigen Verlangens den Kleinen zu kraulen, stark und knie mich nur hin. Er schnuppert vorsichtig an meinem Gesicht und mir ist durchaus bewusst, dass es mich meine Nase kosten könnte. Der Kleine ist so süß, dass es mir das in diesem Moment wert wäre.

Dann bellt es in der Ferne. Seine Familie scheint ihn zu rufen. Schneller als ich mich versehen kann, hat er kehrt gemacht und zwischen die Bäume gespurtet, dem Ruf folgend.

© Jules McShay 2024-09-27

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Komisch, Hoffnungsvoll, Unbeschwert, Entspannend
Hashtags