Komm, gehen wir ein Stück! Ich erzähle dir von meinen Waldviertlern.
Ich trage Waldviertler Schuhe aus mehreren Gründen. Ein Grund ist: Ich trage sie aus Überzeugung, als Statement sozusagen. Sie drücken meine Haltung zur Umwelt aus, und wie wir miteinander leben wollen. In meiner kleinen Stadt sind es zwei Läden, beide in der Innenstadt, beide in Walking Distance, die Waldviertler Schuhe führen. Der eine ist GEA. Der andere der Naturkostladen EVI, den es schon seit 1980 gibt. Schon meine Mutter war dort Stammkundin. Er befindet sich in Bahnhofsnähe. Man kann dort das Rad gut abstellen. Man kann dort gut biologisch und vegetarisch zu Mittag essen. Davon machen viele Leute aus den umliegenden Bürohäusern Gebrauch. Man kann sich dort zu moderaten Preisen mit fast allem eindecken, was man zum Leben braucht. EVI ist kein Bio Supermarkt mit überwiegend importierter Ware. Das meiste stammt aus der Region. Sogar die Schuhe!
Als ich wieder einmal aus Wien am Bahnhof angekommen bin und in dem Laden ein paar Sachen kaufte, die ich meiner Mutter mitbringen wollte, habe ich die Schuhe gesehen. Ich habe mich auf den ersten blick in sie verliebt. Damals hießen sie – glaube ich halt – WING, Flügel! Jetzt heißt dieser Schuh vielleicht anders. Für mich ist er aber der Wing, der Flügel geblieben. Er ist leicht, flach, knöchelhoch und zum Schnüren. Mit diesem Schuh komme ich fast überall hin, vom Frühjahr bis in den späten Herbst. Und das schon seit mehr als 10 Jahren. Er begleitet mich zu Fuß, fährt mit mir Rad, Bahn und Bus. Er geht mit mir durch die gepflasterten Gassen und Straßen der Stadt, auf asphaltierten und geschotterten Wegen. Er geht mit mir bergauf und bergab, und oft auch durch den Gatsch. Er trägt mich über taufrische und über regennasse Wiesen. Manchmal muss er laufen. Er lässt mich nicht merken, wenn er spürt, dass ich hektisch oder müde bin. Manche Wege sind schwer. Der Schuh trägt mich und macht mir das Gehen leicht. Er teilt mit mir Freude und Trauer. Er lässt mich nicht im Stich. Außen ist das Leder rau. Ich brauche ihn nur zu bürsten. Er braucht wenig Pflege. Innen ist er weich. Er schmiegt sich an den Fuß, sodass ich ihn kaum spüre. Trotzdem gibt er mir Halt. Er liegt gut am Fuß. Seine Sohle ist wie eine zweite Haut. Manchmal glaube ich, dass er eine Seele hat.
Das Schöne ist, dass er nicht weit von hier im Waldviertel gemacht ist, in der Schuhwerkstatt von Heini Staudinger, in einer Region, in der es sonst wenig Arbeitsplätze gibt. Der Heini hat die heimische Schuhmacherkunst wieder aufleben lassen. Auch sonst ist er ziemlich umtriebig!
Den Wing konnte ich mir leisten. Er war bei Gott kein teuerer Schuh. Er ist unverwüstlich, wie alle Waldviertler.
Er war mein erster und ist mir der liebste von den Waldviertler Schuhen, die seit damals in meinem Schuhschrank dazu gekommen sind.
Der Wing hat eine Seele. Ich habe schon viel mit ihm erlebt. Er ist der Flügel an meinem Fuß.
foto: GEA Waldviertler
© friederike kommer 2021-01-14