Gestern ein Begräbnis, heute ein Begräbnis. Das ist der Lauf des Lebens. Das gehört zum Leben dazu, wenn man – so wie ich – direkt neben einem Friedhof wohnt. Für viele unvorstellbar, ich mag es.
Unzählige Lichter, die in der Dunkelheit leuchten. Besonders viele sind es zu Allerheiligen und zu Weihnachten. Da gibt es Menschen, die jeden Tag zu ihren Verstorbenen gehen, gleichzeitig gibt es aber auch Gräber, die völlig verwaist sind. Am Land hält sich das noch in Grenzen, aber geht man über einen großen städtischen Friedhof, gehören verwaiste Gräber zum Bild dazu.
Die beiden Menschen, die gestern und heute ihre letzte Ruhe gefunden haben, habe ich gekannt. Seit meiner Kindheit haben sie mich begleitet. Da läuft plötzlich in einem ein Film ab: wie lange hat man diese Menschen gekannt, was hat man mit ihnen erlebt und jetzt sind sie nicht mehr auf unserer irdischen Welt. Unvorstellbar.
Jedes Mal, wenn jemand stirbt, den ich gut kannte, habe ich das Gefühl, das alles nur zu träumen. Es kommt mir wie ein Film vor. So unreal. Heute geht eine Episode zu Ende und morgen brauche ich nur umschalten und alles geht weiter wie davor. Alle sind sie wieder da.
Diese für alle sehr fordernde Zeit kommt mir auch wie ein Film vor. Oft habe ich das Gefühl, alles ist so unreal, als befände man sich in einem dichten Nebel. Man sieht nichts, macht einen Schritt nach dem anderen und hofft, dass sich der Nebel irgendwann wieder lichtet.
Lange dauert diese Zeit schon an. Man versucht, sie bestmöglich für sich zu nutzen, denn irgendwann kommt er wieder, der Alltag. Irgendwann bestimmt. Fraglich ist nur, ob es wieder so wird, wie es war. Daran glaubt inzwischen wohl niemand mehr. Und niemand weiß, wie das Danach aussehen wird.
Deshalb setze ich einen Schritt vor den anderen und versuche, die Aufgaben, die das Leben an mich stellt, bestmöglich zu erfüllen. Die Zeit zu nutzen für den Blick nach Innen wäre wohl gut investiert. Im Aussen haben wir ohnehin die letzten Jahre und Jahrzehnte gesucht. Und was dabei herausgekommen ist, kennen wir ja.
Darin bestätigt hat mich auch die Geschichte von Andrea Gundolf (story.one), in der sie schreibt: Das einzig lebenswerte Abenteuer kann für den modernen Menschen nur noch innen zu finden sein (Carl Gustav Jung). Wie wahr!
Sich selber wieder spüren, die Bedürfnisse seines Körpers wahrnehmen, anstatt zugedröhnt und von sich abgetrennt durch all die Reize im Aussen. Darin liegt das Geheimnis dieser Zeit. Warum wir das so schwer aushalten? Ja, vermutlich, weil wir uns daran gewöhnt haben, weil wir es gar nicht mehr anders kennen. Wie lange wird es wohl dauern, bis wir uns wieder umgewöhnen? Fraglich, ob wir danach noch all die Reize brauchen, den Konsum, die Parties, das viele Reisen.
Für mich kann ich die Frage beantworten, denn nach einem sehne ich mich heute schon mehr denn je: mich in einem schönen Urlaub rundherum verwöhnen zu lassen. Mehr brauch ich nicht mehr. Die Seele baumeln lassen. Einfach sein. Alles andere ist nur Ballast.
© Gerlinde Hinterstoisser 2021-01-10