Mit der Zeit hatte sie sich an den neuen Himmel gewöhnt. Die Sterne zeigten andere Bilder, die Monde leuchtete in anderen Farben, zu anderen Zeiten, leuchteten hell in ihr Zimmer, wenn sie schlafen ging. Und dann war es dunkel. In die Fluren des Schlosses gelang kein Licht und sie wandelte durch diese, unwissend wann sie damit angefangen hatte. Und sie sah jede Nacht etwas anderes und wusste es am nächsten Tag bloß noch, wenn sie etwas daran erinnerte. Wusste nicht, ob die Erinnerungen echt waren oder aus Träumen stammten. Und sie wollte es immer ansprechen, doch Priska hörte ihr nicht zu und vor dem König hatte sie zu sehr Angst. Er hatte sie immer angestarrt und dann gar nicht mehr. War am Anfang freundlich gewesen, hatte ihr versichert, sie könne immer zu ihm kommen, doch danach hatte sie ihn nur auf seinem Thron gesehen, wenn er sie zu sich rief und ihm seine Leute erklärten, dass sie weiterhin keinen Fortschritt machte. Er sagte dann nie etwas zu ihr, winkte nur, dass sie wieder gehen könne. Und ihr war jedes Mal schlecht, wenn sie seinen Saal verließ, fühlte sich wie eine Versagerin. Und Nachts sah sie ihn nie, suchte immer irgendetwas und fand niemals ihn. Spürte seinen Atem im Nacken, seinen Blick im Rücken, als würde er im Dunkeln mit seinem Schloss verschmelzen und sie durch die Wände beobachten. Und etwas in ihr, dachte, dass er alles wusste und sie wollte wieder mit ihm reden und wissen, was er über sie zu sagen hatte. Doch als sie ihren Mut zusammen nahm, schickte er sie weg zu ihrer Schwester, die sie daraufhin wortlos mit hoch in den höheren Teil des Schlosses nahm. In einen verglasten Raum, der alles um sie herum zeigte, die vielen Stadtringe des Königreichs und selbst den Wald dahinter. Und in dem Raum waren viele Gegenstände, Zeichnungen und Leute, die in bunten Farben gekleidet waren, wild diskutierten, dabei schrieben und an die Zeichnungen der Wände zeigten. Und sie war überwältigt von dem Leuchten des Raumes, welches bis in die Dunkelheit ihrer Gedanken strömte. Priska sagte, sie solle mit ihren Fragen zu den Wahrsagern gehen, zeigte auf die bunten Leute. Doch sie schaute sich lieber den Raum an und alles dahinter. Da waren Geschichten in Büchern und diese leuchteten ebenfalls. Ein Buch war weggeschlossen, die anderen sortiert wie in einer Abfolge. Sie las die Geschichten, die aufgeschlagen waren, deren Titel: „Vier im selben Zeichen“ und es folgten bloß die Zeilen: „Eines versteckt, weil es hasst. Eines stirbt, weil es zweifelt. Eines verwandelt, weil es verbindet. Eines liebt, weil es glaubt.“ Und sie blickte fragend zu ihrer Schwester, die zu ihr kam und ihr erklärte: „Das sind die Legenden unserer Geschichte, vergangen wie fortschreitend, sich immer wiederholend.“ Und sie strich über eine Seite, eine Geschichte mit dem Titel „Der Krähenjunge“, lief zum nächsten Buch und sprach: „Die Wahrsager finden heraus, welche Legenden sich in unserer Zeit erfüllen werden. Doch können fast nie vorhersagen, wen es betrifft und auf welche Weise es sich erfüllt.“ Und es waren so viele Geschichten, dass sie kaum eine vollständig lesen konnte, schaute von einer zur nächsten: „Die Verstoßenen“, „Der durch Gnade lebt“ und zu der vor der ihre Schwester stand: „Die Thronfolgerin“. „Die Geschichten erzählen von Personen“, dachte sie laut und Priska nickte, wandte sich ab und blickte hinaus. „Doch man weiß nicht von welchen. Die Rede kann von einem König sein und es handelt sich trotzdem bloß um einen kleinen Mann des äußeren Stadtrings.“
© Tabitha-Loïs Dubbert 2023-09-03