Wandmalerei! Vorreiter von Google Maps?

Eva Mikeska

von Eva Mikeska

Story

Heute wollte ich endlich meinen neuen Pass auf dem Bürgeramt abholen. Da man ja bekanntlich nicht so schönes mit Schönem verbinden soll, machte ich aus dem Pflichtgang einen Kreativspaziergang. Gesegnet mit Sommerwetter und Musik in den Ohren lief ich los. Mein Weg führte mich am Fluss vorbei und durch kleine Seitengassen. Überall gab es allerlei zu bestaunen. Schnell fand ich mein Motto für diesen Kreativspaziergang: „Ausschau halten nach Wandmalerei.“
Getrieben von dem Motto entdeckte ich sowohl alte als auch moderne Malerei. Eine kupferfarbene Wandmalerei erweckte besonders meine Aufmerksamkeit. Folgende Inschrift konnte ich sehen:

Jtemes ist erteilt,
x Barchantweber hie xx
xx nämlich auf 20..
ungeachtet
daz sie nit reich sein xxx
Beschluss des Rates vom 2. AVGVST.
+ ANNO. 1488 x

Hierbei handelt es sich um die frühneuhochdeutsche Sprache, welche in Deutschland Mitte des 14. bis Mitte 17. Jhd. gesprochen wurde. Übersetzt ins Hochdeutsche soll es wahrscheinlich jeden dazu anweisen Weber, unabhängig davon, ob sie reich sind oder nicht, aufzunehmen. Spannend, wie man früher kommuniziert hat und auf einen Ort – hier quasi eine kurzfristige Herberge – aufmerksam gemacht hat. Beeindruckt und im Gedanken verloren, lief ich weiter bis ich irgendwann feststellte, dass ich mich verlaufen hatte. Das Glück meines Verlaufens, hatte mich zwar auf Neues stoßen lassen, der eigentliche Grund meines Spaziergangs, sollte aber nicht in Vergessenheit geraten. Da auch ich mittlerweile in der Neuzeit angekommen bin, bediente ich mich der neumodischen Suchhilfe Google Maps. Auf dem weiteren Weg begegnete ich noch der ein oder anderen Wandmalerei. Sie zeigten meistens einen Hinweis auf frühere Bewohner des Hauses, oft auch abgebildet in ihrer beruflichen Tätigkeit. Die Wandmalerei war für sie nicht nur Kunst, es schien so, als bedienten sie sich dieses Mediums zur Kommunikation. Jeder wusste, wo er zum Beispiel die Fischerzucht finden konnte. Hier hatte ich am Fluss ein passendes Wandbild gesehen. Brauchte man einen Schmied, hielt man Ausschau nach dem passenden Zeichen an einer Hauswand. Für uns heute sind dies historische Einblicke. Für die Menschen der Vergangenheit war dies eventuell das heutige Google Maps. Sich durch Wandmalerei in der Stadt orientieren können. Irgendwie eine schöne Art und noch dazu sah man viel genauer hin, nahm viel mehr Details wahr, lief einfach mit einem offenen Blick für alles und jeden umher. Wie schön! Inspiriert von meiner Umgebung, dem neu entdeckten und dem Pass in der Hand, war es mir fast so, als würde ich vor Lebensfreude so dahingleiten. „Was würde wohl auf deiner Wand stehen?“
Kurz vor meiner Wohnung, sprach mich ein Mann an. Er hatte sein Handy in der Hand und fragte mich, auf einen Straßennamen darauf deutend, nach dem Weg. Ich wies ihm den Weg. Er verabschiedete sich erfreut über meine Hilfsbereitschaft.
Vielleicht sollte ich häufiger mein Handy in der Tasche lassen und mich auf das alte, in Vergessenheit geratene, Medium der Wegfindung konzentrieren – das direkte Gespräch!

© Eva Mikeska 2023-09-01

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Hoffnungsvoll, Informativ, Inspirierend