Wann ist ein Gedicht ein Gedicht?

Margit Thürauf

von Margit Thürauf

Story
Bamberg 2023 – 2024

Wann ist ein Gedicht ein Gedicht? Eine Frage, die ich für mich klären wollte.

Die meisten Leute assoziieren ein Gedicht wohl mit Reimen. Der Mond ist aufgegangen, / die goldnen Sternlein prangen … immer, wenn sich etwas reimt, gibt es keinerlei Zweifel daran, dass es sich um ein Gedicht handelt. Insbesondere Zweizeiler sind Gedichte, die jedermann kennt und die man sich leicht merken kann. Wie schön, dass du geboren bist, / wir hätten dich sonst sehr vermisst … Bei Vierzeilern wird es schon schwieriger – oder wer kann die dritte und vierte Zeile des folgenden Liedes spontan auswendig? Freude, schöner Götterfunken, / Tochter aus Elysium, / Wir betreten feuertrunken / Himmlische, dein Heiligthum.

Alle Beispiele zeigen, dass zu einem Gedicht mehr gehört, als ein Reim. Es ist der Rhythmus, das Gleichmaß der Betonung, die zu dem Gedichtgefühl dazugehört.  Bei Liedern wird das deutlich.

Mehr noch als Lieder ergreifen mich Gedichte von Hesse oder Rilke. Diese beiden Dichter waren Reimkünstler. Beispiel? Der Panther: Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe / so müd geworden, dass er nichts mehr hält / Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe / und hinter tausend Stäben keine Welt.

Einfach nur genial. Vielleicht das Maß aller Gedichte. Aber nicht die einzige geniale Form.

Auch ein ungereimter Text kann ein Gedicht sein. Hilde Domin beispielsweise, ist eine anerkannte Dichterin: Nicht müde werden / und dem Wunder leise / die Hand hinhalten

Ihre Sprache entfaltet eine emotionale Wirkung, die Wortwahl und Anordnung sind ästhetisch schön. In aller Kürze wird etwas Bedeutendes ausgedrückt. Verdichtet. Vielleicht meine liebste Art von Gedichten. Obwohl verdichtete Texte nicht kurz sein müssen. Sie können wie ein Essay sein, beleuchten ein Thema von unterschiedlichen Seiten und fassen Gedanken in Strophen zusammen. 

Und wann wird nun aus einem ungereimten Text ein Gedicht?

Im Deutschunterricht lernte ich bestimmte Merkmale, Rhythmus, Reim, poetische Sprache. Wobei sofort die nächste Frage auftaucht: Was ist Poesie, was Prosa? Und gibt es einen Unterschied, zwischen Lyrik und Poesie? Bevor ich mich in Analyse verzettle, hilft mir eher folgende Definition der ehemaligen Professorin für Deutsche Verssprache, 2014 Kerstin Hensel, weiter: 

Ein Gedicht ist ein Gedicht, wenn es vom Autor als solches betitelt wird.

Was mich an Gedichten fasziniert? 
Die Kürze.
Der Klang.
Die sprachliche Freiheit.
Die Tiefe. 

Huch, war das jetzt ein Gedicht? Es kommt darauf an, wie es auf mich wirkt.

© Margit Thürauf 2023-12-23

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Spiritualität, Lebenshilfe
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