War sie’s?

GONI

von GONI

Story

Es ist noch gar nicht lange her, dass ich nahe München lebte.

Ich bin nach Salzburg gegangen.

Ich weiß heute nicht mehr, warum, aber eines Tages fuhr ich mit dem Zug von München nach Salzburg. Sicher war mein Auto nicht einsatzfähig, oder ein anderer Grund zwang mich dazu, die Bahn zu nehmen.

Mit Mühe erwische ich den letzten Abendzug und suche mir einen Platz. Ich möchte mich unterhalten. Ich habe wenig Gelegenheit für zwanglose Gespräche, denn ich bin viel allein im Auto unterwegs. Beruflich Techniker, da gibt es nur Fachgespräche.

Ich bin frei und unabhängig und auf der Suche nach Erfahrung, einer Frau fürs Leben, oder auch nur ein wenig Gesellschaft. Da finde ich ein Sechser-Abteil, mit 3 Menschen besetzt. Höflich frage ich, ob ein Platz frei ist. Ich erhalte keine Antwort, also kein Nein, das genügt mir. Die mittleren Plätze sind frei. Am Eingang ein Paar, sie werden die ganze Zeit kein Wort wechseln. Am Fenster, in Fahrtrichtung, eine Frau, nein, besser gesagt: eine Dame. Groß, schlank, ich habe sie bisher nur von der Seite gesehen, ihr Blick zum Fenster gerichtet. Es ist der „Rührt mich nicht an“-Blick. Ich lasse ihr Beinfreiheit, und nehme ihr schräg gegenüber Platz. Sie kommt mir bekannt vor. Übrigens sehr schöne, wohlgeformte Beine, muskulös, durchtrainiert. Nun habe ich Zeit, meine Musterung dezent fortzusetzen. Ein helles, einfarbiges Sommerkleid mit Volant-Saum. Es ist alles, wirklich alles am rechten Fleck in der passenden Proportion. Kein Gepäck, Handtasche und eine Tüte mit einem möglichen Geschenk oder eben das Allernotwendigste. Schulterlange, wellige Haare, blond mit einem Stich ins Braune, eine lange, nicht ganz gerade Nase, an der Nasenwurzel schön geschwungene Brauen, kleine, braune Augen, längliche Gesichtsform, rundes Kinn. Kein Gesicht einer Schönheitskönigin, eher eine aparte Erscheinung.

Wie fange ich ein Gespräch an? Ich erinnere mich an eine Fortbildung, Thema: Small Talk. Der Schaffner kommt. Da ist die Gelegenheit, fahren Sie auch nach Salzburg? Ein knappes Nein. Ein Gespräch entwickelt sich. Echter Small Talk, von ihr erfahre ich nichts. Das Wetter, ich unterhalte mich wunderbar. Hochdeutsch, kein bayrischer Akzent, kein Wienerisch… Aber mir dämmert es, ich kenne sie von der Bühne, ich habe sie schon gesehen, war’s im Theater an der Wien, dort war ich bis 1970 Stammgast. Es war bis dato das beste Gespräch, unterhaltsam, kurzweilig und nichts aussagend. Ich glaube, sie ist dann bei Tegernsee ausgestiegen. Ich rutsche zum Fenster, blicke ihr nach, wie sie auf dem Bahnsteig wiegenden Schrittes auf den einzigen Mann dort zugeht. Der ist einen halben Kopf größer, jung, gutaussehend; sie schlingt beide Arme um seinen Hals, zur Begrüßung gibt es einen Kuss.

Der Zug fährt weiter nach Salzburg. Ich hänge meinen Gedanken nach. Ich kann mir vorstellen, wie ihr Abend aussieht. Die Ähnlichkeit ist verblüffend, der gleiche Typ, oder eine Sinnestäuschung?

Gute Nacht Salzburg.

© GONI 2019-10-28

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