von Life@theCity
Heute Morgen war ich spät dran.
Wie ich zur U-Bahn hetzte, bemerkte ich, dass ich in exakt zehn Minuten in der Arbeit sein musste, jedoch eine Fahrt von über dreißig Minuten vor mir lag. Die Rolltreppe hinauf hüpfend, rannte ich also zum Bahnsteig.
Mit gestresster und zugleich müder Miene stand ich inmitten der Menschenmaße und starrte auf die Anzeigentafel, in der Hoffnung, die Minuten mit meinen Gedanken schneller vergehen lassen zu können, doch wie immer half dies nicht.
Nervös trippelte ich somit von einem Fuß auf den Anderen zum Takt der Musik in meinen Ohren und begann mich, während ich auf den Zug wartete, umzusehen. Herr Sturzbetrunken war wie an jedem Morgen zugegen, den Mund-Nase-Schutz unter der Nase platziert, die Gösser-Dose in der Linken, die aktuelle Tageszeitung in seiner Rechten. Eine junge Mutter schämte sich ein wenig weiter den Bahnsteig hinauf für ihr unaufhörlich, brüllendes Kind. Die übrigen Achtzigprozent der Anwesenden warteten, auf ihr Smartphone blickend, auf die Einfahrt des Zuges. Und ich, ich hätte mich nicht umsehen sollen, denn dann hätte ich meinen Chef, der sich ebenfalls auf den Bahnsteig gesellt hatte, nicht entdeckt. Ich hätte mich nicht hinter einer der Stützen des Gebäudes verstecken wollen und dabei eine ältere Dame angerempelt, die mich ohne zu Zögern lautstark belehrte und mit ihrem Gehstock ausholte, um mir einen Klaps damit zu verpassen.
>>Schauen Sie gefälligst, wo Sie Hingehen, junge Dame! Kein Benehmen, kein Benehmen!<<
Ich entschuldigte und duckte mich sogleich, um nicht entdeckt zu werden. Eine Konversation mit dem Chef wollte ich nun wirklich nicht vor Arbeitsbeginn riskieren, zumal meine Verkaufszahlen in der letzten Zeit nicht zufriedenstellend waren.
Der Zug fuhr ein. Na endlich!
Die wartende Meute drängelte sich in Richtung der Waggons, allen voran, die mich schlagende Omama und mein Boss.
Nochmals schoss mir der Gedanke, welchen ich noch zuvor im Bett hegte, in den Kopf: >>Weshalb hatte ich ihm nicht geschrieben? Weshalb war ich so dämlich und hatte keinen E-Card Urlaub beantragt?<<
Der Zug setzte sich in Bewegung und Miss Omama machte sich abermals, ein wenig entfernt von mir, bemerkbar. Ihr Problem: ein offenes Fenster!
Auf, zu!
Auf, zu!
AUF…ZU…
AUF!
>>Mochns des Fenster zua! Des vertrogn meine oiden Knochen ned! Ich hol´ mir no den Tod!<<
>>Gowno austriackie!<< bedeutete so viel wie >>Scheiß Österreicherin<< auf Polnisch.
Jene Wörter, gerichtet an meine um sich schlagende Omama von vorhin, brachten mich kurzerhand zum Lächeln. Es gab doch noch Gerechtigkeit und sie hatte es verdient für ihre ungute Art!
Im nächsten Moment jedoch bestrafte mich sogleich mein Karma.
>>Oh hallo, Guten Morgen! Sind wir nicht spät dran?<<
Mein Lächeln war mit einem Schlag verschwunden. Nun stand er neben mir, mein Boss. Für meine Schadenfreude hatte ich dies wohl verdient! Die Fahrt dauerte noch geschlagene 25 Minuten. Weder die Omama, noch mein Boss hielten dabei den Mund!
© Life@theCity 2021-07-08