Winterspaß auf’m Mt. Klamott

Heinz-Dieter Brandt

von Heinz-Dieter Brandt

Story

Mein erstes großes Weihnachtsgeschenk war ein Schlitten! In Berlin!

Mitte Mai 45 sah meine Mutter aus dem Fenster und fragte: „Ist alles vorbei?“ Als mein Vater das bejahte, stellte sie trocken fest: „Wie sieht det denn hier aus?“ (Von Februar bis April hatten 360 Luftangriffe fast 30 qkm zerstört). Berlin WAR eine schöne Stadt im Grünen: Wald, Felder, Wiesen, schöne Straßen, Häuser, Parkanlagen. Nun war alles weg – sogar der Wald. Auch die Berliner Luft roch nicht mehr wie vorher!

Stattdessen nur noch Ruinen (Das für manche Häuser gut war: Vermieter konnten nicht mehr räsonieren: „Wo wohn‘n se? Keller – zweetes Querjebäude – da könn‘n keene Wanzen sin, wo’s so feucht iss“). Tage später sah sich die Berliner Hausfrau das richtig an, schampfutterte erneut, wie das aussehen würde und: „Mädels – so jeht dat nich! Jetzt wird uffjeräumt!“ Sie nahmen sich Schürze, Kopftuch, Schaufel, Besen – zogen los – Innenstadt. Liehen sich Hämmer zum Steineklopfen, besorgten sich ausgediente Schienen, legten quer durch Berlin eine Lorenbahn und putzten Berlin blank. Frauen haben Berlin blank geputzt! Allein! Kriegspielende Männer gab es nicht mehr, und die paar wenigen mit einem Bein wollten lieber Aufpasser spielen oder gingen in die Politik.

Mein Vater baute im Garten Kartoffeln und Tomaten an – in einer Ecke sogar Tabak. Hab ihm das aber verleidet, als ich das „Unkraut“ gezupft habe – da war’s vorbei mit dem Rauchen. Er konnte das Gras eh nur trocknen, nicht mal fermentieren. Also Frauen putzten Berlin! Geld bekamen sie kaum, dafür aber später ein Denkmal. Berlin sollte wieder „scheen“ werden.

Nur: Wohin „mit die Klamotten?“ Der Berliner hat 2 Traumata: Er hat kein Meer – kann die salzige Luft „bei die Rieselfelder“ zwar im Norden schnuppern – schnuppert dann auch andere Gerüche. Und bis zur Ost- oder Nordsee muss er 200 km fahren – durch die „Zone“. Und er hat keine Berge. Berlin ist platt, musste nicht erst platt gemacht werden, war es schon.

Also schielt der Berliner neidisch nach Süden, zu den Alpen. Sein Blick wird ein wenig gebremst durch die Harzberge (wo er seine Zweitwohnung hatte). Die sind immerhin bis 900 m hoch – und man kann den deutschesten aller Berge ins Visier nehmen: den Brocken – bis 1989 nur von weitem, weil die Russen von dort die ganze nördliche Halbkugel abgehört haben. Aber dieses Faust‘sche Wahrzeichen ließ sich zumindest mit „nem Fernrohr mal ankieken“.

„Also mein lieba Scholli – wohin mit die Klamotten?“ Ganz Berlin höher legen – ging nicht. Stapeln! So schufen die Berliner ihre eigenen Berge. Aus 75 Mio Kubikmeter Schutt entstanden Insulaner, Marienhöhe, Oderbruchkippen – die alten Flaks kamen in die Bunkerberge. Und sie bauten ihren ganzen Stolz – Mont Klamott, den Teufelsberg (120m) – und weil der dem Himmel ein Stück näher war, setzten sie oben drauf ein Observatorium. Und nun hatte auch der liebe Gott ein Einsehen und schickte schöne kalte Winter mit viel Schnee. Der Winterspaß konnte beginnen.

Ski Heil am Mt. Klamott!

© Heinz-Dieter Brandt 2020-06-14