von Ernad Bradaric
Marseille hat nur einen alten Hafen, ein bisschen Strand und zu viele Menschen. In den zu vielen Menschen verstecken sich aber Wassermelonenhändler, Straßenmusikerinnen, Rucksacktouristen, sie alle dekorieren die Hauptstraßen, gleich neben dem alten Hafen.
,,So where did you buy this?“
Mein Reisepartner hat es wirklich getan. Drei Jugendliche auf einer Bank, Burger und Cola essend schauen uns fragend an. Hat er das gerade wirklich gefragt? Und nimmt er gerade wirklich an, dass Franzosen dieses Englisch verstehen? Irgendwie hat es dennoch funktioniert. Wenn es um Essen geht, ist die Sprache nicht die Grenze. Neukreationen sind akzeptiert, Kommunikation mit Grimassen schneiden und auf Gegenstände zeigen verbreitet und erwünscht. Und eigentlich wollte er auch nur fragen, wo die next beach ist. Hamburger interessieren ihn sowieso nicht so sehr, er ist nämlich Veganer.
Das Wasser ist kalt und ich schaffe es nicht, meinen ganzen Körper für länger als zehn Sekunden in das Mittelmeer zu halten. Aber wir haben strahlende Sonne, in der ich mich wärmen kann. Sie blendet, meine Sonnenbrille hält aber gerade noch stand.
Privatzimmer für eine Nacht übers Internet zu buchen halten viele für keine gute Idee. Saint Charles, neben dem Bahnhof: Da soll irgendwo unsere Adresse sein. Wir passieren eine Kreuzung mit offenem Obstverkauf auf den Seitenstraßen. Mir wird versichert, dass die Wassermelone gut sei, als Gütesiegel kriege ich eine zweite Plastiktüte, um sie sicher nach Hause zu tragen. Neben der Universität schlugen einige Obdachlose ihr Lager auf, ich starre auf den Gebetsteppich über den Dreck der Straße. Wir werden nicht nach Geld gefragt, nicht angeschaut, nicht kommuniziert.
,,Hier muss sie irgendwo sein, die Rue“
Wir biegen ein und sehen Möwen auf Autodächern thronen. Sie bewegen sich nicht, keine fliegt davon, es kommen keine neuen nach. Sie sind passiv, auch sie haben ihr Lager gefunden. Friedlich, ganz vorsichtig wagen wir uns an sie vorbei, dahinter ist unser Schlafplatz.
Es hat funktioniert. Wir sind in unserem Schlafzimmer, der aus Bett und Wandkasten besteht, ein bisschen Platz für unser Gepäck.
Marseille aus dem Fenster eines Hochhauses, das bedeutet, dass sich die untergehende Sonne noch einmal über die ganze Stadt erhebt. Auf den Dächern daneben sitzen Tauben, alle aus einem Taubenschlag kommend, der sich charmant hinter einer üppigen Topfpflanze versteckt. Unten warten sie noch immer, die Möwen, auf anderen Dächern als die Tauben, auf anderen Betten als ich. Wir warten alle und blicken auf die Stadt, während ich mich versuche zu unterscheiden, indem ich Wassermelone esse, doppelt verpackt als Qualitätsmerkmal.
© Ernad Bradaric 2021-08-01