Nacht! Ich liege auf dem Rasen, starre gebannt in den Himmel. Der Wald um mich herum dämpft das Nebenlicht – Corona hat die Atmosphäre transparenter, klarer gemacht. Mühelos sind auch die weitesten Sterne – bis zur Helligkeitsstärke 6 – zu sehen.
Welche Pracht! Wie auch immer der erste Energieblitz ablief – der Respekt vor der Schöpfung kann nicht elementarer sein. Dieses Ausmaß!
Mit 12 Jahren hatte ich wenig Beziehung zur Kultur der “alten Römer und Griechen“. Aber ich kannte ihre Sagenwelt: Da war die wunderschöne Nymphe Callisto, in die sich Zeus verliebte, worüber seine Frau Hera so sauer wurde, dass sie Callisto in eine Bärin verwandelte und in die Wälder Arkadiens trieb, bis sich Zeus ihrer erbarmte und sie als Sternbild „Große Bärin“ an den Himmel setzte – zirkumpolar – sodass er sie das ganze Jahre vor Augen hat. Oder Orion, der – ziemlich geil – ständig den 7 schönsten Mädchen, den Plejaden, hinterherläuft.
Von der Königin Cassiopeia, die mit ihrem Mann Cepheus über Äthiopien herrschte. Um ihr Land zu retten, wollten sie ihre wunderschöne Tochter Andromeda opfern – rechtzeitig jedoch wurde diese von Perseus befreit, der sich unsterblich in sie verliebte. Ob Pegasus, Herkules, Eridanus – wunderschön sind die Sagen über die Sternbilder am nördlichen Himmel. Lange angeschaut, fallen mir immer mehr Allegorien ein, die die Himmelsgebilde so spannend machen.
Aber dann. Welche Schande! Jene Kulturen, die unter Alexander bis weit nach Asien gelangten, die das Mittelmeer als “mare nostrum” bezeichneten, brachten es nicht fertig, auf der Südhalbkugel unseres Planeten richtig Fuß zu fassen. Wussten sie doch seit Eratosthenes, dass die Erde keine Scheibe ist – was manch einer heute immer noch glaubt.
Hätte Alexander nicht ein wenig weiter nilaufwärts marschieren können? Hätten Caesar und Antonius bei ihren nächtlichen Begegnungen mit Kleopatra nicht wenigstens einige Male ihren Blick in den Himmel anstatt in die Augen der schönen Ägypterin richten können.
In allen Fällen wäre ihnen die Sternenpracht des südlichen Himmels aufgefallen. Was wären dann die Sagen noch umfangreicher, charmanter und spannender ausgefallen und hätten sich dann auch auf das südliche Firmament ausgedehnt.
Stattdessen sehe ich bei meinen Besuchen jenseits des Äquator zwar ein unglaublich schönes Milchstraßenband – dann aber Sternbilder, wie Werkzeugkästen – WERKZEUGKÄSTEN am Himmel: “Zirkel“, ”Malerstaffelei“, „Winkelmesser“, „Pendeluhr“ usw. sind sie betitelt – schnöde Begriffe, die sich ein Nicola Louis de Lacaille 1750 ausgedacht hatte, als er den Südhimmel kartografierte.
Gut – er wollte damit das Zeitalter der Aufklärung ehren. Aber wie stören diese „Werkzeuge“ mein mystisches Himmelsbild und meine Verehrung der Himmelshelden.
Und wie soll ich meinen Kindern und Enkeln Sagen und sagenhafte Geschichten erzählen – über ein Sternbild “Luftpumpe“ oder ”Grabstichel“ oder gar über das Bild „Chemischer Ofen“?
© Heinz-Dieter Brandt 2020-06-20