Warum Wir Rennen

Svenja Jung

von Svenja Jung

Story
2016

Ich weiß nicht, wie lange wir gelaufen sind. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Wir mussten auch wieder über den Zaun herausklettern, was sich nass als schwieriger gestaltet hat. Ich weiß auch nicht wohin wir gelaufen sind, das Hotel ist nicht in Sicht. Aber irgendwann haben wir das Rufen nicht mehr gehört, nicht mehr die Schritte hinter uns, was wohl auch viel wert war. Wir sind in einer Waldlichtung herausgekommen, erst, als wir uns ganz sicher sind, kommen wir zu Atem. Lexi sieht zuerst auf, zuerst wirkt sie sehr erschrocken, dann wieder heftiges Lachen, ich stimme mit ein. So etwas Aufregendes habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Ich trage noch immer kein Shirt und auch keine Socken, ganz zu schweigen von einer Hose, die Sachen sind alle in unsere Taschen gedrückt. Es ist natürlich noch kälter geworden, ich suche meine Kleidung heraus, halte Lexi ihre Schuhe hin.

„Ich hatte so lange nicht mehr solchen Spaß gehabt.“, stellt sie fest, als sie diese wieder angezogen hat.

„Ich auch nicht.“, gebe ich zu. Ich hatte eigentlich sehr lange schon gar keinen Spaß mehr, also war sowieso alles besser.

„Weißt du, wie wir zurückkommen?“, frage ich. Lexi dreht sich einmal um sich selbst, zuckt dann mit den Schultern: „Wir werden schon was finden, E. Wir kommen zurück.“ Ich klinge sehr weinerlich, das hab ich gerade selbst gemerkt. Inzwischen ist es nach Mitternacht. Ich werde wohl an sich nicht mehr viel zum Schlafen kommen. Meine Eltern wird das wahrscheinlich nicht sehr freuen. Lexi kniet sich hin und nimmt den Wein aus meiner Tasche: „Ich hab meine Meinung geändert. Es ist ja nur meine Familie, sie werden das sicher verstehen.“, sie lächelt mich an, nimmt einen tiefen Schluck. Der Mond scheint sehr hell durch die Bäume, dennoch sind Wälder einfach nicht mein Lieblingsort. Ich bin in einem kleinen Ort aufgewachsen, aber der Wald war dennoch nie bei uns in der Nähe. Wir werden die Hochzeit morgen im Haus meiner Eltern feiern, sie haben einen großen Garten, welcher sich weit zieht. Sie werden wahrscheinlich Zelte aufgestellt haben. Lexi hält mir den Wein hin, auch ich beginne zu trinken.

Sie zeigt hinter mich: „Wir sollten dort entlang gehen.“

Ich drehe mich um, tatsächlich ist in der Nähe ein Wohngebiet. Wahrscheinlich dasselbe Wohngebiet, welches mit dem kleinen Hotel enden wird. Wir schnallen beide unsere Rucksäcke wieder auf, Lexi geht voran, bis sie sehr plötzlich stehen bleibt und nach meiner Hand greift.

„Wir sollten uns nicht verlieren, E.“, sagt sie: „Ich brauche dich noch.“ Ich lächele sie an, der Mond bescheint ihr Gesicht, die hellen Augen, die vollen Lippen, ihr Lächeln.

Und vielleicht deute ich die Szene, ihre Andeutungen falsch, aber ich beuge mich vor und küsse sie.

© Svenja Jung 2022-05-15

Hashtags