Was bedeutet das alles?

Hannes Marschoun

von Hannes Marschoun

Story

„Und sie hat gesagt, die Ernte wird dieses Jahr schlecht werden?“, fragte Lea. Wir nickten.

„Mei, sie haben komische Sachen gesagt, aber es sind Lehrer, die sagen immer komische Sachen“, meinte David. Zwei Tage waren vergangen, seitdem wir das Gespräch unfreiwillig belauscht hatten. Simon hatte viel darüber nachgedacht und beschlossen, unsere Freunde ebenfalls zu informieren. Für unsere Besprechung saßen wir daher zu viert auf dem Boden von Leas Zimmer, aßen Chips, tranken Spezi und versuchten so zu tun als hätten wir eine Ahnung wovon wir gerade sprachen.

„Du hättest dabei sein müssen, dann würdest du verstehen, warum das alles so wichtig ist“, sagte Simon in diesem Moment und wie immer hörten wir ihm sofort alle zu. „Diese Szenerie, das war nicht nur komisch, das war regelrecht bizarr. Die Gesichtsausdrücke der beiden…“

„Sie schienen Angst zu haben“, ergänzte ich.

Lea runzelte die Stirn. „Seid ihr sicher? Das sind Erwachsene, Lehrer, wovor sollten die denn groß Angst haben? Außer vor ihrer nächsten Midlife-Crisis.“

„Also ich glaub‘, ihr steigert euch da in was ganz Seltsames rein.“, David machte eine der Chipstüten auf. „Sind wir nicht alle ein bisschen zu alt, um ‚Drei Fragezeichen‘ zu spielen?“

Simon zog mehrere Zettel aus seiner Jacke und faltete sie auf. „Ich hab ein bisschen im Internet recherchiert…“

David stöhnte auf. „Ich dachte, wir machen heute irgendwas Cooles zusammen. Smash spielen oder so. Was soll das denn werden?“

„Jetzt lass‘ ihn doch mal ausreden, Smash läuft uns ja nicht davon“, sagte Lea und das brachte David endlich zum Verstummen.

„Ich hab ein bisschen im Internet recherchiert“, fuhr Simon fort, als hätte es die Unterbrechung nie gegeben. Und nach einigem Probieren dieses Wort gefunden, das die beiden verwendet haben. Es heißt nicht Obduktion Nigomentik, es heißt eigentlich Obcoecatio nigromantica …“ „Nicht Latein!“, rief Lea. „Es ist ein Ritual der Nekromantie.“ Das brachte uns alle aus dem Konzept.

„Aber wieso…“, begann ich, denn nun wurde es auch mir zu viel.

„Warte noch kurz, es geht weiter“, sagte Simon. „Wusstet ihr, was in der Vergangenheit unserer Schule alles passiert ist? Es gab mal einen versuchten Amoklauf, der Täter hat sich jedoch selbst umgebracht.“ Wir nickten, das wusste man. „Aber was kaum einer weiß, ist, dass auf einer Klassenfahrt 2016 ein Schüler verschwunden ist. Es gibt dazu kaum was im Internet. Die Aufsicht hatte eine Julia Ackermann, die danach als Lehrerin versetzt wurde.“ Ackermann, da war er wieder, der Name. „Aber jetzt kommt das wirklich Krasse“, sagte Simon und legte einen Zettel in die Mitte. Es war ein Lehrerfoto unserer Schule von 1968. Die meisten der dargestellten Personen kannten wir. Manche waren jünger, manche älter als jetzt, doch die Gesichter waren die gleichen. Da war Frau Schultz, da Herr Lehmann. In der letzten Reihe die Physikhexe Frau Lindner. Und vorne in der ersten Reihe unser Direktor Vogt, hier mit grauem Haar und Bart.

© Hannes Marschoun 2022-08-30

Hashtags