Was das Bewusstsein durchströmt

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Eine Freundin erzählt mir, dass sie sich etliche Jahre einer Psychoanalyse unterzogen hat. Während wir uns über Therapieformen unterhalten und erörtern, ob Therapie was bringt, und wenn ja, was, bewegen wir uns auf die Alte Schmiede in der Schönlaterngasse zu.

Ich habe Therapieerfahrung, nur, wie gesagt, Psychoanalyse kenn ich nicht. Alles was ich darüber weiß, ist, dass es ums freie Assoziieren geht. Darin bin ich Meisterin. Meine Gedanken sind schneller, als ich schreiben kann, und jeder Analytiker hätt‘ eine Freud‘ mit mir.

Mit orientalischen Läufern in Purpurrot und Zimt belegt, war Freuds Couch Zeugin zahlloser erotischer Tagträume neurasthenischer Patientinnen. Wer glaubt, das Original in der Berggasse zu finden, der irrt. Es steht in London.

Freud übte auch großen Einfluss auf die Art des Schreibens aus. James Joyce ist wohl der namhafteste Vertreter der Stream of Consciousness Technique. Er treibt den Bewusstseinsstrom auf die Spitze.

Spitzfindigkeiten auf der Gedenktafel des Basiliskenhauses neben der Alten Schmiede.

Das Schild gibt die in Stein gemeißelte Inschrift ANNO DOMINI MCCII irrtümlich mit 1212 wieder. Damals hätte ein Bäckermeister im Hausbrunnen ein ihm unbekanntes Tier entdeckt, das als Basilisk identifiziert worden sei, eine Kreuzung zwischen Kröte und Hahn.

Während meine Freundin an der Sprechanlage läutet, um Einlass zu begehren, denn sie will auch in den Brunnen schauen, stürzen Bilder auf mich ein. Mir kommt ein Roman in den Sinn, den ich vor vielen Jahren gelesen habe. Sein Titel will mir partout nicht einfallen, aber vor meinem geistigen Auge sehe ich eine monströs verzerrte Fratze, eine Skulptur, aus Stein gemeißelt. Sie ähnelt dem Basilisken. Ich sehe ein Auto, das sich überschlägt und von der Fahrbahn abkommt. Irgendetwas blendet den Lenker, er stürzt in den Abgrund. Ich habe den Roman verschlungen, so viel weiß ich noch. Warum fällt er mir jetzt ein?

Alte Schmiede. Feuerstelle. Heiß. Und diese Kreatur.

Der Wagen fängt Feuer. Flammeninferno. Mit schwersten Verbrennungen wird der Lenker ins Krankenhaus eingeliefert. Kurz darauf ist er ein bandagiertes Monster, das an den Englischen Patienten erinnert. Er denkt an Selbstmord. Und dann kommt sie, his saving grace, a sculptress of gargoyles. Und plötzlich ist der Titel da: „The Gargoyle“. Kein Basilisk, sondern ein Wasserspeier, den man an gotischen Kirchen findet, eine hässlich-groteske Figur aus Stein. Dann kommt sie in sein Leben. Sie heißt Engel. Sitting by his bedside she tells him compelling stories which take them back to medieval Germany. Sie ist der festen Überzeugung, both of them were lovers once, sie, die Nonne, und er, ein Söldner, dessen Brandwunden sie bereits vor 800 Jahren gepflegt hat. An das Ende des Romans kann ich mich nicht mehr erinnern.

Inzwischen öffnet sich ein Fenster. Eine Frau sieht zu uns herunter und sagt, den Brunnen im Innenhof gibt es schon lange nicht mehr.

© Sonja M. Winkler 2022-01-30

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