Was hatte ich nach dem Krieg anzuziehen?

Ulrike Sammer

von Ulrike Sammer

Story

Nach dem 2. Weltkrieg gab es kaum etwas an Kleidung zu kaufen. Da ich einen älteren Bruder hatte, gab es noch die aufgehobenen Baby- und Kleinkindsachen. Wir waren nicht wählerisch. Später zog ich auch die abgelegten Lederhosen meines Bruders an – die waren ja unverwüstlich. Aber irgendetwas Mädchenhaftes sollte ich doch auch für diverse Gelegenheiten haben. Meine Mutter nähte zwar, aber es gab kaum Stoffe. So wurde im Haushalt gesucht, was man eventuell umschneidern konnte.

Mein Großvater war kurz zuvor gestorben. Die Stoffe seiner Anzüge waren von guter Qualität, aber abgewetzt. So trennte man alle Nähte auf und nahm die Innenseite. Selbst „gestürzte Knopflöcher“ wurden gewendet – eine „Heidenarbeit“! Aus den aufgebügelten Stoffteilen ließ sich allerhand machen. Man war wirklich erfinderisch! (Die heutigen jungen Menschen können sich das gar nicht vorstellen)! Strümpfe und Socken wurden natürlich geflickt. Wer erinnert sich noch an die hölzernen, pilzförmigen Stopfhilfen? Es war eine Kunst, die Stopfwolle so flach im Gittermuster an den Lochrändern anzubringen, dass sich nichts zusammenzog und im Schuh drückte. Aufgenähte Flicken auf Risse und Herzerln auf die durchgewetzten Ellenbogen „zierten“ manchen Pullover. Die selbstgestrickten alten Westen wurden aufgetrennt und die Wolle neu aufgewickelt. Irgendein Familienmitglied musste ruhig sitzen, seine Arme nach vorne strecken und die Wolle in Abstand halten, damit sie sich nichts verwickelt. Dann wurde wieder ein Knäuel daraus und allerlei Neues daraus fabriziert. Jedes Material war kostbar, nichts wurde weggeworfen. Das hat mich geprägt, auch heute fällt mir wegwerfen schwer.

Schuhe konnte allerdings kaum jemand selbst reparieren. Da musste man zum Flickschuster. Ich kann mich noch sehr gut an den alten Herrn Havlicek mit seinen dicken Brillen erinnern, wie er in einem Kämmerchen auf einem kleinen Stockerl saß und abgebrochene oder schiefe Absätze, sowie lose Schuhsohlen befestigte.

Als ich schon größer war, fuhr meine Mutter mit mir zu den beiden (einzigen) Warenhäusern auf der Wiener Mariahilferstraße. Das war ein echtes Fest. Zum Räumungsverkauf gab es dort sogenannte „Wühlkörbe“ mit Stoffresten. Die Hausfrauen lieferten sich wahre Schlachten. Auch kleine Teile waren gefragt, denn die nähenden Frauen ließen sich tolle Kombinationen verschiedener Muster einfallen. Wohl denen, die zu Hause eine Tret-Nähmaschine hatten. Diese Zeit formte mich sehr, denn ich war viele Jahre später oft noch auf der Suche nach günstigen Stoffresten und ich erlernte auch die Schneiderei, noch nach der Matura. Manche Reste gab es noch zu Zeiten, an denen ich keinerlei Lust zum Schneidern mehr hatte. Aber bis zu der Zeit der billigen Massenwaren mussten noch viele Jahre vergehen.


© Ulrike Sammer 2025-02-02

Genres
Biografien