von Lisa Wiesinger
Ich stellte mir immer die Frage „Was ist falsch mit mir?“ Ich passte nie dazu. Ich war immer anders als alle. Ich wollte so sehr dazugehören. Ich wollte normal sein. Ich wollte nicht komisch sein. Ich wollte genauso sein wie die anderen.
Wovon ich genau rede, fragt ihr euch? Autismus. Autismus spezifisch bei weiblichen Personen. Man hat es mir nie wirklich angesehen. Viele Freunde hatte ich nicht, da ich immer ein kleinen wenig anders war. Dieses Anderssein war etwas sehr Anstrengendes, denn ich versuchte so stark dazuzugehören und maskierte – bezeichnet in der Psychologie das bewusste oder unbewusste Unterdrücken autistischer Verhaltensweisen – meinen Autismus den ganzen Schultag so sehr, dass ich nach der Schule ins Bett viel und nichts mehr machen konnte. Früher wusste ich aber nicht, dass ich meinen Autismus maskierte.
Erst mit 21 Jahren diagnostizierte man Asperger bei mir. Mit 21 JAHREN!! Ich lebte 19 Jahre ohne zu wissen, dass ich auf dem Spektrum sein könnte. Erst mit 19 Jahren lernte ich in der Schule über Asperger-Mädchen/-Frauen. Da fühlte ich mich das erste Mal verstanden und lernte auch, dass es eine Begründung für vieles gibt. Ich bin nicht komisch, ich bin Autistin.
Ich verstand meine Symptome davor nicht. Ich wusste nicht, warum ich auf einmal nicht mehr reden konnte und still sitzen musste – ich war nonverbal in diesen Momenten. Ich wusste nicht, warum ich (wenn ich alleine war) Geräusche immer wieder laut wiederholte oder sogar Wörter und Sätze – selbst stimulierendes Verhalten (bezeichnet in der Psychologie die Wiederholung von physischen Bewegungen, Geräuschen oder Lauten, aber auch vom Riechen, Fühlen oder visuellen Reizen). Ich wusste nicht, warum ich gewisse Sachen in einer gewissen Reihenfolge machen musste oder warum ich weinen musste und einen Wutanfall hatte, wenn Pläne geändert wurden. Ich wusste so viel nicht. Jetzt mit meiner Diagnose macht alles viel mehr Sinn.
Dadurch dass ich erst so spät diagnostiziert wurde, erlebte ich viel Trauma, durch das viele maskieren – vor allem das Maskieren vor mir selbst. Höchstwahrscheinlich kommt meine Borderline-Diagnose nicht nur durch das andere Trauma, das ich erlebte, sondern auch vom vielen maskieren. Meine Maske ist noch immer so stark auf mir und ich kann sie oft überhaupt nicht ablegen. Es ist sehr anstrengend und ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich sie oben habe und wann unten.
Seit ich die Diagnose habe, fühle ich mich viel besser. Es hilft mir zu wissen, was mit mir los ist und wie ich mir am besten Hilfe suchen kann. Ich habe gelernt, dass nichts falsch mit mir ist und dass ich gerne anders bin.
© Lisa Wiesinger 2023-09-20