Was ist schon Angst

Amelin Reinöhl

von Amelin Reinöhl

Story

„Marie?“. „Mh?“. Sie dreht sich zu mir um, schon fast im Halbschlaf und selbst im kaum vorhandenen Mondschein, der fahles Licht auf unsere rot-blau-karierte Picknickdecke wirft, kann ich das Grün in ihren Augen sehen. Ich bekomme immer Gänsehaut. Jedes Mal aufs Neue. „Kannst du mir was versprechen?“, frage ich leise. „Was denn?“. Jetzt klingt ihre Stimme hellwach, aufmerksam. „Kannst du mich bitte niemals betrügen?“. Alleine bei dem Gedanken daran steigen mir heiße, salzige Tränen in die Augen und bringen sie zum Brennen. „Ich kann mir sowieso schon nicht vorstellen, dich jemals zu verlieren, aber dann auch noch so …?“. Meine Stimme bröckelt und bricht schließlich vollständig beim Versuch den Satz weiterzuführen. Wie die Mauern einer alten Festung. Auch die Tränen schaffen sich nun den Weg nach außen. „Bebiii!“. Maries teichgrüne Augen weiten sich vor Schreck. „Sag doch sowas nicht! I could never …“ Sie zieht mich an sich, so fest an sich, dass es wehtut und ich weine in ihre Brust, in ihre wundervollen, weichen, kuschligen Brüste und atme ihren süßen, holzigen Duft ein. Zuhause. So liegen wir einige Minuten einfach nur da, schweigen und halten uns fest. Hin und wieder mein leises Schluchzen, das die Stille durchbricht. Als ich mich etwas beruhigt habe, drückt mich Marie ein kleines Stück von sich weg und nimmt mein verheultes Gesicht in ihre weichen Hände. „So Bebi. Und jetzt sagst du mir, wie du plötzlich auf die Schnapsidee kommst, ich könnte dich betrügen.“ Dabei schüttelt Marie immer wieder so bestimmt und übertrieben beleidigt den Kopf, dass ich lächeln muss. Doch die Gedanken an das, was ich sagen will, fegen mir das Lächeln in Sekundenschnelle von den Lippen. „Na ja … Ich sehe gerade so oft, wie Beziehungen daran zerbrechen. Ich meine, denk doch mal nach. Alleine in den letzten 2 Jahren. Franzi und Elias, Felix und Tobi, Maria und Kai, Stella und Nadja … Wusstest du, dass Stella jetzt sogar in einer geschlossenen Psychiatrie ist, weil sie die Trennung nicht verkraftet hat und sich das Leben nehmen wollte? I mean, sie hat Nadja nach 6 Jahren Beziehung und 2 Wochen nach der Verlobung mit ihrem besten Freund im Bett erwischt und dann auch noch erfahren, dass das Ganze schon seit 3 JAHREN lief. Wie kommt man mit sowas klar?“ „Hey!“, stoppt Marie meinen Redefluss. „Es reicht jetzt! Ich möchte nie wieder hören, wie du andere Beziehungen mit unserer vergleichst! Klar ist so eine feste Bindung und vor allem die krasse emotionale Abhängigkeit ein großes Risiko. Aber deswegen eine Beziehung gar nicht erst riskieren?“ Marie festigt ihren Blick und ich versinke fast in ihrem unendlich tiefen Teich. „Ruby Liana Winter, ich liebe dich so unglaublich und du bist mir jedes Risiko wert. Und ja, ich habe auch Angst. Aber was ist schon Angst, wenn keiner weiß, was als Nächstes kommt?“ Ich will zu einem Satz ansetzten, aber Marie legt mir ihren Finger an die Lippen. „Shh! Sag jetzt nichts mehr. Küss mich einfach!“ Und ehe ich überhaupt realisiere, was passiert, treffen unsere Lippen sanft aufeinander und ein Kribbeln, wie ein Stromschlag durchfährt meinen Körper. Fast ist mir, als sei dies unser erster Kuss und dieser Kuss löst in mir den intensiven Wunsch aus, noch viel mehr mit ihr zu tun, als sie nur zu küssen. Als wir uns wieder voneinander lösen, sehe ich Marie einfach nur glücklich und verschmitzt grinsen. Ihr Marie-Grinsen. Dann meint sie achselzuckend: „Ich wär‘ ja auch schön blöd, so einer Granate wie dir fremdzugehen.“

© Amelin Reinöhl 2023-08-13

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Unbeschwert