Was mir immer noch schwerfällt

Sophie_arnold

von Sophie_arnold

Story

Es ist ein Mittwoch und ich steige aus der Bahn aus, gehe die Treppen hinunter und laufe durch die Unterführung nach draußen zu den wartenden Bussen, von denen mich einer an die Uni fahren wird. Es ist objektiv betrachtet ein guter Tag. Kalt zwar, sehr kalt, aber sonnig. Ein typischer, schöner Tag um diese Jahreszeit. Ich freue mich auf die Seminare, die ich heute besuchen und die Freunde, die ich dabei treffen werde. Auf dem Weg zur Uni höre ich Musik, wie meistens. Mir geht es gut und ich bin mir sicher, dass ich von außen betrachtet mit Sicherheit auch einen optimistischen Eindruck auf andere Menschen mache…

Wie es in mir aussieht, unterscheidet sich etwas von der Außenwahrnehmung. Nicht wesentlich, aber doch merklich. Ich spüre, dass heute ein anstrengender Tag für mich werden wird. Ich kenne meine vom Trauma beeinflusste Psyche inzwischen gut genug, um mir dessen sicher zu sein. Ich nehme das leichte Zittern meiner Hände wahr, die Angespanntheit in meinem Inneren, das Rasen meiner Gedanken und die Unruhe in meinen Augen. Es ist alles sehr sehr leicht, von außen nicht erkennbar, aber ich merke es dennoch. Heute ist einer der Tage, an denen ich mich in meinem Körper einfach nicht richtig wohl fühle. Nicht richtig zu Hause. Nicht richtig verbunden. Nicht richtig geborgen.

Heute ist einer der Tage, an denen es mir schwerfällt, damit klar zu kommen, dass mein Körper berührt worden ist. Gegen meinen Willen, ohne, dass ich es kontrollieren konnte. Heute fällt mir die Akzeptanz dieser Tatsache schwerer als an anderen Tagen.

Ich trage diesen Körper, meinen Körper, tagtäglich durch mein Leben. Ich ernähre ihn, ich kümmere mich um ihn, ich pflege ihn. Aber ich habe ihn nicht immer kontrollieren können. Nicht immer beschützen können. Ich habe ihn nicht immer besitzen können.

Es fällt mir nicht immer so schwer, dies auszuhalten. An vielen Tagen, mittlerweile sogar an den allermeisten, kann ich das. Denn ich habe verstanden, dass mein Körper so viel mehr ist als diese eine Erfahrung. Dass ich so viel mehr Zeit mit meinem Körper habe als diesen einen Moment. Dass es eine Zeit nach diesem Erlebnis gibt, in der ich viele schöne Erfahrungen mit meinem Körper machte, mache und machen werde. Ich bin mehr als das, was ich erlebt habe.

Aber ich bin eben auch das, was ich erlebt habe. Ich bin trotzdem auch diejenige, deren Körper sexualisierte Gewalt erlebt hat. Ich kann nicht mehr ändern, dass ich diese Erfahrung machen musste. Ich habe nur diesen einen Körper und dieser wurde missbraucht. Manchmal überrollt mich dieser Gedanke noch immer und ich kann ihn schwer aushalten. An solchen Tagen bin ich unruhig, zitterig und unsicher. Ich fühle mich nicht wohl. Aber selbst an diesen Tagen weiß ich, dass sie vorbeigehen werden. Ein Trauma zu verarbeiten hat einfach Höhen und Tiefen. Manche Tage sind schwer, andere leicht, andere irgendwas dazwischen. Aber das Schöne ist; die Anzahl der schweren Tage nimmt im Laufe der Zeit immer weiter ab.


© Sophie_arnold 2025-02-13

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional