von Feenstaub
Was soll das werden, fragte sie sich hin und wieder. Nun hast du doch das Buch geschrieben, aber der Hunger war noch nicht gestillt. Es war ja auch eher ein Büchlein, mit wenig Ecken und Kanten. Das Ego hatte sich zwar gefreut, dass der Name darauf stand, doch wäre ihr vorher klar gewesen, wie viel gefälliger die Chose dadurch werden würde, sie hätte sich das mit dem echten Namen nochmal überlegt. Aber es muss ja nicht das letzte gewesen sein, es ist ihr im Gegenteil ziemlich klar, dass es das nicht war. Jetzt würde es richtig losgehen. Mit Pseudonym zwar, aber ohne Vorgabe. Kein Wettbewerb mehr, kein Schreiben für andere. Nur noch pur das was aus ihr rausfließen wollte. In ihrem Kopf floss wahrlich mehr als aufs Papier, dieses blieb erst mal leer, aber Papier ist ja bekanntermaßen geduldig. Sie wusste, dass Geduld nicht gerade ihre Stärke war, und dennoch wurde sie bei der einen Sache ruhig. Es würde fließen, Wort für Wort, Satz für Satz. Irgendwann wären ihre geistigen Ergüsse vollendet. Zumindest vorerst. Dann käme das Feilen, überarbeiten, kürzen, an anderer Stelle verlängern. Alles, nur nicht alles löschen war das Credo, was sie sich in ihrem imaginären nächsten Werk vorsagte, hatte sie es oft genug erlebt, dass die Zweifel sich einschlichen und sie alles nur schlecht fand und in den virtuellen Mülleimer verbannte. Wieder andere Male erlebte sie es, dass sie von ihren geistigen Ergüssen oder auch Wasserfällen regelrecht überrascht war, immer dann wenn ein Text ihrer rigorosen Säuberungsaktion nicht zum Opfer gefallen war – dann kam es hin und wieder mal vor, dass sie sich über das Übriggebliebene freute, wenn sie es nach einiger Zeit wieder entdeckte. Und dann kam ihr der Gedanke, dass vieles von dem, was sie schrieb (vielleicht ging es anderen auch so) regelrecht vom Zufall abhing, ob es je das Licht erblickte. Machte es doch einen riesigen Unterschied, ob sie mit dem falschen (was auch immer der richtige war) Fuß aufgestanden war, die Milch alle und der Nachbar bohrte oder dass sie zwar mit dem richtigen Fuß aufgestanden, dann aber an ihrem Pantoffel hängen geblieben war und dies je nach Stimmlage als besonders furchtbar oder inspirierend empfand. Jedenfalls hörten sich ihre Gedanken zwar auch für sie selbst etwas konfus an, aber genau das war doch der Punkt: Manches fand sie nach kürzester Zeit schrecklich und schickte es auf den Friedhof der nie gelesenen Texte, während sie bei anderem froh war es buchstäblich am Leben gelassen zu haben. Wenn aber der Geist und die Wahrnehmung so sprunghaft war, wie konnten wir jemals etwas zu Ende bringen und dies im Brustton der Überzeugung veröffentlichen? Vielleicht erklärt dies, warum manche Künstler später mit den Anfängen ihrer Kunst ungern in Verbindung gebracht werden möchten. Oder sie akzeptieren, dass alles der Veränderung unterlag, möglicherweise auch die Einschätzung der eigenen Texte. Wie gut, dass Papier geduldig ist.
© Feenstaub 2022-08-17