von Herr Odri
Kennen Sie es auch?
Sie sitzen vor einem leeren Blatt Papier, die Feder in der Hand, die Finger auf der Tastatur, doch es kommt nichts?
Obwohl der Kopf voll ist, die Ideen von einem Gyrus zum nächsten wandern, von einer Seite des Großhirns zur anderen, kommt einfach nichts. Früher machte ich es, wie mein literarisches Vorbild Charles Bukowski. Doch am nächsten Tag konnte ich meine eigene Handschrift nicht mehr lesen und was ich lesen konnte, war zum defäkieren. So beschloss ich, mein Vorgehen radikal zu ändern. Ich schrieb nur an Vormittagen und trank an Nachmittagen. Anfangs zu Hause, später in irgendeinem Lokal und zum Schluss verbrachte ich meine freien Tage von früh bis spät in meinem Stammlokal.
Ich saß auf meinem Stammplatz, trank am Vormittag Kaffee, nachmittags Bier, beobachtete das Treiben im Beisl und machte mir Notizen für ein Gedicht oder einen Liedtext. Wenn ich sagen konnte: „Panta rhei“ – und da meinte ich nicht den Kaffee oder das Bier welches floss – kam es schon mal vor, dass an einem guten Tag drei bis fünf Gedichte und zwei Liedtexte entstanden. Je nach Aggregatszustand und zu welcher Uhrzeit ich mich auf den Heimweg machte, klopfte ich das geschriebene mit meiner Princess 100 auf leere Bögen Papier. Auch ich entwickelte mich technisch weiter und kaufte mir irgendwann eine elektrische Schreibmaschine und schließlich einen Computer.
So sammelten sich im Laufe der Jahre viele Schreibmaschinengeschriebene A4 Blätter an, die ich in drei dicken Ordnern aufbewahrte, bis ich sie schließlich bei einem meiner vielen Umzüge auf der Suche nach „zu Hause“ im Altpapiercontainer entsorgte.
Nicht alles habe ich entsorgt. Aus drei dicken Ordnern mit Gedichten wurde ein dünner und zwei Ordner mit Liedtexten habe ich mir aufgehoben. Man kann ja nie wissen.
Mein „zu Hause“ habe ich gefunden und kann sagen: „ Es gibt keinen Ort wie zu Hause“.
Wenn ich heute Lust auf Schreiben verspüre, brauche ich kein Lokal, kein Stammlokal, kein Bier. Ich gehe ins Wohnzimmer, hole meine Princess 100 aus dem Wandschrank, setze mich in meinem Garten auf meinen Lieblingsplatz, trinke Wiener Hochquellwasser aus dem Bierglas und spanne ein leeres Blatt Papier ein.
Wenn es fließt, schreibe ich, bis mein Herz von der Arbeit nach Hause kommt. Ich begrüße sie mit einem zärtlichen Kuss und reiche ihr mit den Worten:“ Sorry mein Herz, aber ich musste Überstunden machen“, die Speisekarte von unserem Lieblingslieferservice.
Na geht doch. Ich habe was geschrieben.
© Herr Odri 2021-09-23