Was Wir Aufgeben

Svenja Jung

von Svenja Jung

Story
2016

Ich sehe meinen Dad, ich sehe Leigh. Ich sehe meine vier Großeltern. Ich sehe sogar kurz Simon. Aber ich sehe nicht Lexi. Leigh weicht nicht von meiner Seite, wahrscheinlich hat sie Angst, dass ich wieder weggehe. Vielleicht hat Mum oder mein Dad was gesagt. Jedenfalls vergeht eine Stunde und ich war keine Sekunde davon alleine. Langsam kommen Gäste, ich kenne nicht sehr viele. Irgendwann werde ich Lexis- Alexas Eltern vorgestellt. Irgendwann soll ich mich hinsetzen. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und ich entschuldige mich, fünf Minuten.

„Du hast recht.“, höre ich, als ich hinter der Kirche stehe, mich an die kalten Mauern anlehne und wünschte, dass ich doch heimgefahren wäre. Dort hab ich vielleicht nicht sehr viel, aber hier hab ich gar nichts. Ich kann mich nicht wirklich mit meinen Eltern unterhalten, weil sie mir wohl nie verzeihen werden, dass ich gegangen bin. Meine Geschwister sind nicht mehr als Fremde, die denselben Namen tragen wie ich. Ich bin damals gegangen, weil ich nie wirklich verstanden wurde. Weil ich einfach nie angekommen bin. Und ich bin nicht mehr gekommen, weil es sich nicht änderte. Ich werde immer der Jüngste sein. Ich werde nie wie die anderen sein.

„Inwiefern hab ich recht?“, frage ich Lexi, die Jeans und Shirt trägt.

„Wir sollten weg von hier.“, sie lächelt mich an. Ich stelle mich gerade auf.

„Lex- ich- wir können nicht von hier weg.“, sage ich.

„Wieso nicht, Ewan? Du hast es mir vorgeschlagen. Du hast zu mir gesagt, wir würden weggehen.“

„Wer hat dich auf mich angesetzt, Lexi?“

Sie verschränkt die Arme vor der Brust: „Wie meinst du das?“

Ich erkläre es ihr. Mein Spitzname, meine Mum. Und dass sie mir vor weniger als zwölf Stunden gesagt hat, dass sie es nicht tun wird. Dass es Simon ist. Nicht ich. Lexi sieht sich um, dreht sich zu der Kirche um, wohl in Angst, dass uns jemand sieht. Wir müssen zurück. Natürlich müssen wir zurück. Wir können nicht weggehen.

„Ich wurde nicht angesetzt. Nicht alles ist eine Verschwörung.“, sie seufzt: „Sie haben natürlich über dich geredet, manchmal hat deine Mum dich so genannt.“

Sie lächelt mich an: „Wir laufen weg, Ewan. Wir beide.“

© Svenja Jung 2022-05-15

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