Eine Welle der Aufbruchsstimmung und Euphorie nach der Wahl von Barack Obama zum amerikanischen Präsidenten trug mich und meine Familie 2010 von New York nach Washington DC. Alles schien damals möglich zu sein. Mein Mann trat einen Posten im Finanzministerium an, ich kündigte meinen Job bei UNICEF, wir zogen um.
Die Kleinstadt Washington ist an den Bevölkerungswechsel nach Wahlen und an die genauestens durchgeführten Hintergrundchecks für die Security Clearance ranghoher Regierungsmitglieder gewöhnt. Für mich war es jedoch eine äußerst befremdliche Erfahrung, als wenige Wochen nach unserem Umzug unsere neuen Nachbarn persönlich von FBI-Agenten über unseren Lebenswandel, Drogenkonsum und ähnlichem befragt wurden. Durch Zufall sah ich sie sogar, als sie an die Türen in der Nachbarschaft klopften, während ich mit unserer im Kinderwagen schlafenden Tochter nach Hause kam.
Ich wurde in unseren Washingtoner Jahren sehr vertraut mit dem politischen Amerika. Die Namen hoher Regierungsmitglieder und Senatoren waren mir geläufig, einige traf ich persönlich, und ich verfolgte innen- und außenpolitische Prozesse im Detail. Meine Achtung für den Präsidenten wuchs, je vergifteter das politische Klima und je schwieriger die Arbeit der Regierung wurden. Präsident Obama blieb seinen hohen ethischen und intellektuellen Ansprüchen stets treu, versuchte, Brücken zu bauen, statt Gräben aufzureißen. Ich hatte öfters die Möglichkeit, ihn persönlich reden zu hören: Seine Worte waren stets beeindruckend, sein Humor anziehend, sein Lachen bestechend.
Meine Kinder hatten das Privileg, ihre ersten Lebensjahre im von den Obamas dominierten Washington zu verbringen. Jedes Jahr machten wir Geburtstagsfotos vor dem Hintergrund des Weißen Hauses oder beobachteten die dort startenden Hubschrauber des Präsidenten. Die Easter-Egg-Roll, das traditionelle Osterfest im Garten des Weißen Hauses, wurde zur lieben Gewohnheit. Sie verspeisten mit Begeisterung „Bo“-Kekse – Bo ist der Name des Hundes der Obama Familie –, die wir von Weihnachtsfeiern im Weißen Haus mit nach Hause brachten und die ihre Zungen schwarz färbten. Bis heute bewahre ich die blau-weiß-roten M&Ms mit dem Siegel des Präsidenten im Küchenschrank auf und die Ostereier mit seiner Unterschrift kugeln in unseren Spielzeugkisten herum. Ein besseres Rollenvorbild für heranwachsende Kinder konnte man sich nicht wünschen.
Kurz vor dem Ende von Obamas zweiter Regierungsperiode zogen wir wieder nach New York zurück. Es war an der Zeit für uns, den berühmt – berüchtigten Washingtoner Sumpf hinter uns zu lassen. Die Inauguration für Obamas zweite Amtszeit hatten wir euphorisch mitgefeiert, die Feierlichkeiten und Atmosphäre im festlich herausgeputzten Washington genossen. Mit der Wahl und Angelobung von Donald Trump zum Präsidenten legte sich dann ein grauer Schatten über meine Erinnerungen an Washington.
© Stella Schuhmacher 2019-07-23