Weihnachten auf dem Semmering

Ulrike Sammer

von Ulrike Sammer

Story

Mein Mann war sehr krank. Er hatte viel abgenommen und war sichtlich geschwächt. Kurz nach seiner 6-stündigen Operationen brauchte er täglich eine Infusion. Deshalb verbrachten wir Weihnachten im Kurhotel Stühlinger, in steiler Hanglage mitten im Wald zwischen der Bahnstation Semmering und der Hochstraße (an der auch das Hotel Panhans liegt).

Nachdem der Pleitegeier über dem Semmering kreist, bin ich mir nicht im Klaren, ob das Kurhaus nach Corona wieder aufsperrt, denn die letzten drei Jahre war es geschlossen. Vor knapp 10 Jahren war es jedenfalls noch in voller Funktion.

Die Hinfahrt war bereits mit großen Schwierigkeiten verbunden, da der geplante Transport nicht klappte. Wir hatten beide eine totale Adrenalinausschüttung. Nach hektischen Telefonaten konnten wir doch noch jemanden ausfindig machen, der uns auf den Semmering fuhr. Es war alles vereist. Die Chauffeurin schaffte den steilen Anfahrtsweg zum Kurhotel erst im 5. Anlauf.

Wir bezogen ein sehr nettes Zimmer mit Balkon. Mein Mann sollte ein bisschen aufgebaut werden, obwohl er nun keinen Magen mehr hatte. Beim „Abendessen“ kaute er ganz langsam winzige Bissen. Ich hatte beschlossen, die Zeit mit ihm, mit einer Mayr-Kur zu nützen. Ich bekomme einen klaren Gemüsesud und Dinkelbrot. „Köstlich“.

Wie fast täglich kroch oder floss ein eindrucksvoller Nebelstrom aus dem Mürztal über die Semmering-Passhöhe und fiel wie ein Wasserfall in die Ebene hinunter. Obwohl es minus 10° hat, wollte mein Mann immer ein bisschen ins Freie. So gingen wir vorsichtig mit Stöcken auf den völlig vereisten Wegen, trotzdem verriß sich mein Mann. Ein Sturz mit den noch unverheilten OP-Schnitten wäre aber jedenfalls katastrophal gewesen. Wir beobachteten, wie ganze Großfamilien samt Christbaum in ihr Zweitdomizil für die Feiertage einzogen.

Das Haus hatte eine kleine Therapiemannschaft, aber Dr. Andres Stühlinger, der Besitzer und Kurarzt, kümmerte sich um schier alles. Von früh bis spät war er eingesetzt. Er wohnte im Haus mit seiner alten Mutter, um die er sich natürlich auch annahm. Diese Mutter war es gewohnt überall mitzureden und verhinderte alle Neuerungen. Als die hohen Bäume vor dem Hotel mit der Zeit Licht und Aussicht auf allen Balkonen wegnahmen, verbot sie es, diese zu entfernen. Man musste warten, bis sie einmal einen kurzen Urlaub antrat. Die Forstarbeiter mit den Motorsägen standen schon bereit. Als die Mutter zurückkam, stand sie vor vollendeten Tatsachen.

Im Hotel Panhans stimmten wir uns weihnachtlich ein. Im Jugendstilfestsaal war ein sehr nettes Adventkonzert mit Chor, Bläsern und drei musizierenden Geschwistern. Zu unserem festlichen Weihnachtsabendessen waren wir so wenige im Haus, dass wir an einem größeren Tisch Platz nehmen konnten. Außer meinem Mann und mir, waren Dr. Stühlinger mit seiner Mutter, drei betagte Damen und die bekannte und beliebte Filmemacherin Elisabeth T. Spira mit ihrem Mann um den Tisch versammelt.

© Ulrike Sammer 2020-12-23

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