von Klaus Rafenstein
“Why Romania? What are you doing here?” Die Falten und das Stirnrunzeln graben sich noch tiefer in die Stirn des rumänischen Zöllners. In der Bös-Schau-Schule für Grenzbeamte hat er gut aufgepasst. Vorzugsschüler! Die Fassungslosigkeit über unser Vorhaben ist ihm ins Gesicht geschrieben. Nach einem zwanzig-minütigen Aufenthalt an der Grenze, erfolgreicher Übersetzung des negativen Covid-Bescheids und zahlreichen Hinweisen wie unerwünscht wir hier sind, deutet Mr. Popescu auf seine Armbanduhr und lässt uns unterstrichen mit einer flapsigen Handbewegung wissen: “In 72 hours you have to leave the country! If not: Quarantaine!“
Als ob wir in den ersten 72 Stunden niemand anstecken könnten…
Doch ich habe aufgehört für mich nicht veränderbare vollkommen sinnbefreite Regeln zu hinterfragen.
Zurück nach Rumänien. Als Oma uns in Kindesjahren dann und wann auf der Jagd nach billigem Käse, günstigen Frisören und dem perfekten Manikür-Studio mit über die ungarische Grenze genommen hat, da war es meinem Bruder stets zu dreckig, zu gammelig, zu sehr Osten. Dass er nun schon seit vielen Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Rumänien hat, ist mit linearem Gedankengut nicht nachvollziehbar. Doch er ist glücklich. Und der Grund für Glück ist selten logisch und rational erklärbar.
O doch, einmal hat er versucht es mir zu erklären: “Du liebst Mountainbiken. Nichts ödet dich mehr an, als mit deinem Bike auf flachem Asphalt zu fahren. Du suchst das Unterholz, die Laubhügel, den steinigen und nicht ausgetretenen Weg. Genau das ist es, was mich hier so reizt. Die nicht ausgetretenen Wege.“
Nach der Grenz-Schikane geht es von der Autobahn auf die transsylvanische Bundesstraße. Ich bekomme eine Idee, was es heißt, auf nicht ausgetretenen Wegen unterwegs zu sein. Ich fühle mich wie in einer Sonder-Edition des Computer-Spiels Collin Mcrae Rally. Für jedes überholte Pferdefuhrwerk gibt es 50 Punkte. Der Schlagloch-Slalom-Parcour ist recht eng gesteckt. Ich bin sehr fokussiert, hab ich doch noch die Geschichte meines Bruders vom nächtlichen doppelten Felgen-Bruch auf dieser Strecke in Erinnerung. Die mit brennenden Autoreifen spielenden Kinder am Straßenrand bekomme ich nur flüchtig mit. Zu sehr konzentriere ich mich darauf, die Menschen links und rechts des brüchigen Asphalts vor Schlamm-Fontänen zu bewahren. Cluj-Napoca, das Herzstück von Transsylvanien. Draculas mystische Heimat.
“Lieber noch eine Schicht Verbandsmaterial drüber wickeln, nicht dass Blutstropfen durchsickern. Könnte gefährlich werden in dieser Gegend.” meinte der Chirurg gestern nach meiner Finger-OP beim Versorgen der Wunde mit einem warmen Schmunzeln im Gesicht. Ähnlich warm wird es mir ums Herz, als wir endlich angekommen sind. Innige Wiedersehens-Freuden. Selbstgebrannter Begrüßungs-Schnaps. Dinner Deluxe. Kaminfeuer-Geknistere und Weihnachstklänge läuten 3 bezaubernde Weihnachtstage im Kreise der Liebsten ein.
© Klaus Rafenstein 2020-12-28