Weihnachtsnudeln

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story

Noch bevor ich ganz wach war, wusste ich um die Besonderheit dieses Tages. Diese Erwartung, diese Aufregung schlich sich bis in den Schlaf hinein und dann war ich plötzlich hellwach. Am Vormittag war es eher ungemütlich und man war überall im Weg. Die Mutter machte den Nudelteig für die Weihnachtsnudeln, woanders nennt man sie Kiachl oder Krapfen. Weihnachtsnudeln waren aus einem besonders guten Germteig mit Butter und einem Schuss Rum und es war eine Kunst, sie im tiefen Fett zu backen, ohne dass sie Schmalz zogen. Niemand beherrschte diese Fertigkeit so wie meine Mutter. Aber jetzt galt es erst einmal den Teig zu schlagen – in der großen Holzschüssel. Eine Arbeit, die der Mutter für den Rest des Tages fast sämtliche Kräfte raubte und die später von meinen Brüdern und noch später von den Schwiegersöhnen und dann von den Enkeln übernommen wurde. Dieses Schlagen des Teiges war das um und auf für das Gelingen – der Teig musste sich vollends von der Schüssel und vom Holzlöffel lösen. Dann musste er „rasten“ und „gehen“ – mit einem mehlbestäubten Teigtuch zugedeckt auf dem Kachelofen in der Stube, und man durfte die Tür kaum auf- und zumachen, damit er keinen Luftzug bekam und nicht zusammenfiel.

Inzwischen waren tausend andere Vorbereitungen zu erledigen, z.B. die Diwanpolsterbezüge auswechseln und die festlichen rotgestickten Tischdecken auflegen, die Krippe aufrichten, Tannenzweige auf die Bilder stecken, Kunden bedienen, die in letzter Minute ihre Schuhe und Patschen abholten und noch vieles mehr. Irgendwann habe ich übernommen, die Anzüge und Mäntel für die Mitternachtsmette auszubürsten, auch Schuhe mussten oft noch geputzt werden. In der Sendung “Autofahrer unterwegs“ wurde jedes Jahr “Bist du einsam heut Nacht“ von Peter Alexander gesungen, und immer musste ich weinen.

Manchmal aber machte ich mich auch einfach davon, ging in den Wald, setzte mich irgendwo hin, sang für mich allein alle Adventlieder durch. Einmal spielte ich Christkind bei einer alten alleinstehenden Frau. Ich legte ihr gebettelte und wenn ich ehrlich bin auch „gestiebitzte“ Kekse vor die Tür. Heiligt der Zweck die Mittel? Ich habe es dann doch gebeichtet, denn das Gewissen gab keine Ruhe; ich hatte ja selbst auch genascht und das dreieckige Gottesauge sah damals alles.

Um 15 Uhr war die Heiligen Vesper, auch ein Muss, aber an diesem Tag war alles besonders, alles ein sehnsüchtig erwartetes Ritual. Vom Chor herunter ertönte mit verteilten Rollen “Wer klopfet an“ und „Sieh, es wird der Herr sich nahn, und mit ihm der Heiligen Schar“, was von mir lange als „und mit ihm der heilige Schal“ verstanden wurde. Ich rätselte viel, was es bedeuten mochte; zu fragen getraute ich mich nicht. Als wir heimkamen, war die Mutter schon beim Nudeln herausbacken. Wir Kinder durften sie dann in der Nachbarschaft verteilen. Überall waren schon die letzten Vorbereitungen im Gange und es war eine unglaublich freudige, erwartungsvolle Stimmung in allen Häusern.

© Christine Sollerer-Schnaiter 2020-11-28