von Kathrin Schink
Wer hatte eigentlich die Idee mit dem Wein? So genau weiß das niemand mehr. Fakt ist, dass ein Weinstock an der Südwand des Hauses vor sich hin wuchs. Er wurde nicht gepflegt und hatte sich eines übrig gebliebenen Zaunfeldes bemächtigt. Seine Trauben hatten kleine süße Beeren. Er ließ sich willig an einer Rankhilfe entlang zu einem lebenden Zaun entwickeln. Zu seiner süßesten Zeit fielen die Wespen über ihn her. Eines Tages bekam er Mitbewohner. Im Juni 2022 zogen eine Tafeltraube Vanessa, zwei Tafeltrauben Polo Muskat und drei Tafeltrauben Venus zu ihm ins Weingärtlein. Er musste Platz machen und statt horizontal entlang der Rankhilfe wuchs er nun vertikal die Hauswand hinauf. Im Herbst 2023 fand noch Kischmisch zitronii zur Rebgemeinschaft. Im Februar 2024 wurden die Rebstöcke in Form gebracht. Das Wissen hierfür vermittelte uns ein Volkshochschulkurs und Einer, der als Metallgestalter auszog und als Winzerlehrling wiederkehrte.
Waren im Jahr 2023 alle Beeren ein Opfer der Kirschessigfliege geworden, ruhte die Hoffnung auf dem Jahr 2024. Ein milder Winter und ein warmer Start in den Frühling ließen die Rebstöcke zeitig austreiben. Ein misstrauisches Auge auf die Frostgefahr blieb. Und dann kann der Frost! Obstblüten fielen und frische Austriebe des Weines erfroren. In den Weinbauregionen wurden nachts Feuer in den Weinbergen unterhalten. Bewuchs unter den Reben kurzhalten, um Kältestau zu vermeiden, war das A und O. Und dann kam das bange Warten. Würden die Nebenaugen austreiben? Nicht alle kamen und doch sah es nun wieder nach einer guten Ernte aus. Frühling und Frühsommer vergingen mit verschiedenen Pflegetätigkeiten: Anbinden der Reben, Gipfeln nach dem achten Blattstand, Ausgeizen der Seitentriebe und gelegentliches Gießen. Endlich blühte der Wein. Die Gescheine wurden mit großem Hallo begrüßt, war es doch trotz der anfänglichen Frostschäden eine angemessene Anzahl. Jeder Traube wurde ein Fruchtschutzbeutel übergezogen. Wir hatten aus dem Vorjahr gelernt. Dann die große Frage: Spritzen wir? Der Winzerlehrling sagt: „In jedem Falle spritzen. Die Gefahr von Pilzbefall ist zu groß!“ Der Volkshochschuldozent spritzt auch. Wir zaudern. Kann es nicht auch ohne gehen?
Der Rebstock an der Hauswand lässt die Früchtchen allmählich reifen. Panik ergreift uns, als wir mumifizierte Beeren sehen. Schwarzfäule wäre die Katastrophe, Stiellähme oder Sonnenbrand kämen auch infrage. Wir nehmen den größten Teil der Trauben ab und vernichten sie. Zwei Trauben lassen wir hängen, um zu sehen, welche Entwicklung sie nehmen. Am Ende schmecken sie prächtig. Es war wohl doch Nährstoffmangel. Mit dem kämpfen wir auch bei den anderen Weinstöcken. Das Laub wirkt gelb. Durch die zeitweise heftigen Regenfälle und die allgemeine Feuchtigkeit im Frühsommer sind Möglicherweise zu viele Nährstoffe aus dem Boden gespült worden. Wir geben Kalk, Bittersalz und Flüssigdünger an die Pflanzen und hören auf, Geiztriebe zu entfernen. Ende August verwöhnt uns Venus.
© Kathrin Schink 2024-09-02