Weine nicht, Mutter

Du hast dich wahrscheinlich gefragt, wie ich diesen Tag begrüße, ob mir das Blut in den Adern gefriert, ob ich Angst habe, ob ich Schritte in der Nacht höre, die mich irgendwohin bringen, wo ich nie wieder die Sonne oder dein Gesicht sehen werde. Es ist leicht für mich, Mutter, für die Sonne; man gewöhnt sich an den Regen, aber es ist schwer für mich, Mutter, ohne dein Gesicht und dein Lächeln.

Heute Morgen hat meine Seele gezittert, ich dachte, Mutter, dass du mich finden wirst, dass du um mich trauern kannst, dass du das tun kannst, worauf du all die Jahre gewartet hast. Aber du bist es nicht, und das macht nichts, ich stehe still in den Reihen und warte darauf, dass sie mich aus der Dunkelheit ziehen, dass du mich erkennst. Die Jahre sind vergangen, aber ich, Mutter, habe immer noch deine blauen Augen. Geschrumpft, aber immer noch schön. Hör zu, bitte, weine heute nicht! Nicht zufällig ist unser Gesicht rein, meine Hände sind rein, meine Seele ist rein. Aber du, weine nicht zu mir.

Trockne mich, meine Schöne, ich sehe dich an und du musst nichts tun. Du sehnst dich nach mir, nach ihnen, du sehnst dich. Du lebst, aber du bist nicht lebendig. Du atmest, und es erstickt dich. Die Welt um dich herum erstickt dich, Mutter, tu es nicht, ich wurde von Nicht-Menschen erstickt, du wirst traurig sein. Nicht, Mutter, nimm dein Leben, das Leben, das ich hingelegt habe, damit du heute in Ruhe mit deinen Nachbarn Kaffee trinken und Zumri erzählen kannst, wie der Zucker über Nacht gestiegen ist, der Teufel hat es dir genommen. Und als ob du nicht wüsstest, woraus er gemacht ist.

Komm heute zu mir, als ob es ein ganz normaler Tag wäre. Gut, verteile etwas auf dem Grab meines Srebrenica und stell dir vor, dass du meinen Kopf streichelst, wie damals, als ich im Sommer meinen Kopf auf deinen Schoß legte. Sag mir, was los ist. Sprich, Mutter. Was in der Nachbarschaft los ist. Hast du jemanden, mit dem du Kaffee trinkst oder Lokum isst? Erzähle mir solche Geschichten, Mutter. Ich will es nur wissen.

Bette, wie du es jeden Tag tust. Niemand spricht das Muttergebet schöner, und niemand segnet mich schöner mit Gott. Weißt du, wenn du seufzt und dein Seufzer entrissen wird, dann erwärmt sich mein Herz und ich spüre eine Berührung.Meine süße Mutter, meine süße Sonne, eines Tages werden wir uns treffen, eines Tages wirst du mich im dunklen Land finden, und weine nicht. Ich gehe jetzt, ich werde auf dich warten. Wir sehen uns eines Tages über dem Regenbogen in der Stadt der guten Menschen. Mit einem reinen Herzen und einer reinen Seele. Städte von Menschen, die plötzlich gehen. Städte von Menschen, die warten und die warten. Eile nicht herbei, lass dich unter die Leute. Sei vorsichtig. Ich habe mein Bestes getan, um dich zu retten.

Bette, Mutter, bete. Sowohl für mich als auch für dich selbst. Mutter, bete auch für sie, weil es nachts schwer ist, wenn sie nicht schlafen können. Und die Vergangenheit verfolgt dich.

11.07. Srebrenica