Weingläser; ungespült

Sofie

von Sofie

Story

Kein Regen, kein Geigenspieler, das ist es also. Bloß Wind auf dem Balkon und ein Fernsehsprecher, der redet wie immer, aber verzweifelter schaut. Das ist sie also, die letzte Nacht. Die erste Welle der Panik ist bereits über uns hinweg geschwappt, ich spüre nur noch den tauben Nachgeschmack der ausgehenden Brandung. Und als du den Fernseher ausschaltest, klingt mein Fluchtinstinkt endgültig ab, denn das haben sie uns zu genüge gesagt: Flüchten ist zwecklos.Als du dem Fernsehsprecher das – sich sowieso nur wiederholende – Wort abschneidest, ist unsere Wohnung plötzlich so still. Und die Stille verdrängt die letzte Illusion.

Die Spülmaschine blinkt und ich beginne, sie auszuräumen. Erst die Gläser, dann die Tassen. Meine Lieblingstasse ist grün und so groß, dass fast ein halber Liter Tee hineinpasst. Ich halte inne und bemerke, dass in der Nähe des Henkels ein Stück der Farbe abgesprungen ist. Das kommt davon, wenn man handbemalte Tassen in die Spülmaschine steckt, ich werde ein bisschen wütend und rufe nach dir.

„Hey, kannst du meine Tasse das nächste Mal-„

Hah. Vergiss’ es.

Der Rest der Maschine ist nicht ausgeräumt und das wird so bleiben. Langsam lasse ich mich auf die Fließen rutschen. Die Katze kommt durch die Tür und begrüßt mich hier unten, in ihrem Gebiet.Was mich in diesem Moment am meisten verzweifelt: Dass ich es ihr nicht erklären kann. Ich fange an, mit der Katze zu reden, in dem Versuch, ihr zu verstehen zu geben, was es bedeutet, was die hektische Fernsehsprecher-Stimme bedeutet, was die Sirenen bedeuten, was die Radionachrichten bedeuten. Sie schnurrt nur und ich würde ihr gerne sagen, dass es nicht ihre Schuld ist, dass ich sie liebe, dass ich hoffe, dass wir uns wiedersehen. Es ist so unfair, denn sie hatte ja nichts damit zu tun. Es waren wir Menschen. Ich würde ihr das gerne sagen, aber sie versteht mich nicht. Sie wirkt recht glücklich.

Du kommst rein, als ich weinend mit der Katze auf dem Küchenboden sitze.„Vielleicht“, sagst du, „ist es viel besser, es nicht vorher zu wissen.“ Du hast den Wein mitgebracht, den wir für unseren Jahrestag aufheben wollten. Wir hatten uns viel für den Jahrestag aufgehoben: Geld, Urlaubstage, gute Gespräche.

„Wir haben es so oder so ganz gut gemacht.“ Sage ich und hole die Weingläser.

Du schenkst ein und ich schaue dir dabei zu. Dann stehst du auf und machst die Stereoanlage an, irgendein alter, nostalgischer Song, der den Wind und ein dumpfes Geräusch von Schüssen übertönt.

Wir schauen uns lange an, einander in die Augen. Schließlich stelle ich mich vor dich und fordere dich zum Tanzen auf. Mein Kopf liegt auf deiner Brust, meine rechte Hand in deiner. Wir bewegen uns langsam, hin und her. Keine großen Bewegungen, sanfte Schritte zu sanfter Musik und die Wärme von Körpern aneinander. Ein menschlicher Trost. Ich spüre eine Träne auf meinen Hals tropfen und es ist nicht meine eigene.

Wir trauern schweigend um eine Welt voller Möglichkeiten. Bis das Licht alles verschlingt.

© Sofie 2022-04-08

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