Der Weinkenner

Wolfgang Ferdinand Vogel

von Wolfgang Ferdinand Vogel

Story

Alles hätte er erwartet, aber das nicht. Franz – er liebt alles, was französisch ist und nennt sich daher gerne Francois – stand plötzlich inmitten einer Weinsammlung. Einer Sammlung ausgewählter Weine; noch dazu solcher, die Francois als Kenner besonders schätzt. Französische Rotweine also.

Franz ist ein Spezialist für Alarmanlagen. Es gab kaum eine, die er nicht überlistet hätte und die seinem Einbruch widerstanden hätte. So bei dieser Villa. Die Anlage war zwar fordernd, aber nicht unüberwindbar. Er arbeitete immer allein, aber bei der Vorbereitung aber schätzte er Spezialwissen. Sind die Bewohner abwesend? Was sind die Vermögenswerte? Sind sie verwertbar? Diese Spezialisten arbeiteten möglichst ohne Kenntnis voneinander. Da war sein Konzept – es diente der Sicherheit aller Beteiligten.

Niemand hatte allerdings verraten, dass der Bewohner dieser Villa Weinsammler war. Francois näherte sich fast andächtig den Regalen. Tolle Jahrgänge – exzellente Lagen! Dazwischen aber ein Jahrgang, den er als stark überschätzt hält. Hat er sich da etwas andrehen lassen?

Er fand ein Heft, in dem der Villenbesitzer genau Buch führte. Francois nahm es an sich. Er suchte seine Lesebrille, das Licht war schlecht! Was er las, fesselte ihn: Dieser Jahrgang soll sich durch Lagerung entwickeln. Das zeichnete der Sammler auf. Jahr für Jahr hat er das dokumentiert. Da muss wohl… Francois nahm eine Flasche – der Korkenzieher – eine Zumutung! Zum nächsten Einbruch wird er seinen eigenen Korkenzieher mitbringen. Für alle Fälle.

Ganz konnte er der Argumentation aber nicht folgen. Der Wein hatte zu wenig Körper. Oder doch? Also noch eine Flasche öffnen. Tatsächlich! Da gibt es Unterschiede! Hat doch recht, der ihm unbekannte Sammler. Wie gerne hätte er sich mit ihm unterhalten. Über das gemeinsame Hobby. Er sah ihn fast vor sich: ein Mann in den besten Jahren, massig, aber beweglich, rundes Gesicht. Und vor allem ein hervorragender Gaumen.

Sollte nochmals überprüft werden. Dazwischen bräuchte man etwas Brot, ein Baguette am besten. Beim nächsten Mal nimmt er so etwas mit: Korkenzieher und Baguette. Für alle Fälle.

Aber die Sammlung hat ja nicht nur diesen grenzwertigen Fall. Da sind noch ganz andere Schätze verborgen. Große Jahrgänge großer Lagen. Der unbekannte Sammler wäre sicherlich enttäuscht, wenn er darüber kein Urteil abgeben würde. Also auch da – verdammt der Öffner!

Gleich neben dem großen Namen ein unbekannter. Francois öffnete und erstarrte in Ehrfurcht: der Mann verstand wirklich etwas. Ein Tropfen der begeistern musste. Da kommt kein Rothschild mit, kein Mouton, kein Lafit nichts. Der Mann ließ sich nicht durch Namen blenden, er konnte sich auf seinen Gaumen verlassen. Francois trank noch eine Flasche auf ihn und auf die neu gewonnene Freundschaft.

Die Polizei weckte ihn am Morgen. Der Hausherr hatte beim Heimkommen Licht gesehen und sie verständigt. Er sah genauso aus wie ihn sich Francois vorgestellt hatte.



© Wolfgang Ferdinand Vogel 2020-09-01

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