von Marit Heidler
Tick, tack, tick, tack. Mein Kopf dröhnt. Alles, was ich wahrnehme, ist das quĂ€lende Ticken der Wanduhr. QuĂ€lend langsam. QuĂ€lend laut. Ungeduldig schaue ich nach vorne. Der Tisch, an dem ich sitze, ist weiĂ. Der Stuhl, auf dem ich sitze, ist weiĂ. Die Wand. WeiĂ. Der Mann, der nun den Raum betritt, trĂ€gt einen langen, weiĂen Kittel. Seine Stirn ist in Falten gelegt. Angespannt blicke ich ihn an. Ich merke, wie meine HĂ€nde beginnen, zu schwitzen. Nass. Kalt. Der Mann mit dem weiĂen Kittel setzt sich mir gegenĂŒber. Mein Blick schweift ĂŒber das kleine Schild, das vor seiner linken Brust hĂ€ngt: Dr. Peter Stein. Unfallchirurgie. Ungeduldig blicke ich in seine Augen. Das Ticken der Uhr, dieses verdammte, quĂ€lende Ticken, erfĂŒllt den Raum. Der Mann in dem weiĂen Kittel streckt mir seine rechte Hand entgegen. âIch bin Dr. Peter Stein. Ich bin Unfallchirurg hier an der CharitĂ©.â Zögerlich erwidere ich seinen HĂ€ndedruck. Seine Augenringe sind dunkel, sein Haar zersaust. Wieso sollte ich herkommen? Wieso wurde ich in dieses Zimmer gesetzt? Und wieso wurde mir immer noch nicht gesagt, was passiert ist? In meinem Hals bildet sich ein KloĂ. Mein Mund ist staubtrocken. Mein Herz rast. Ich habe Angst. GroĂe Angst. Angst davor, was mir gleich gesagt werden könnte. Was mir gleich gesagt wird. âIch muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Freundin Sarah Bauer einen schweren Motorradunfall hatte.â Bei den Worten setzt mein Herz aus. Verwirrt blicke ich den Arzt an. Sein Gesicht wirkt noch bleicher als zuvor, was mich schwer schlucken lĂ€sst. Mir schieĂen TrĂ€nen in die Augen. âWas … was meinen sie mit schwer?â, presse ich hervor. Der Blick des Arztes verfestigt sich. âSie musste notfallmĂ€Ăig operiert werden. Neben mehrfachen Knochen- und WirbelbrĂŒchen hat sie sich eine Lungenquetschung und einen SchĂ€delbruch zugezogen. Leider ist auch das Gehirn betroffen.â Er macht eine kurze Pause, atmet merkbar aus. Tick, tack, tick, tack. Die TrĂ€nen brennen auf meinen Wangen, brennen sich durch meine Haut, befeuern meine Angst. Wie geht es Sarah nun? Dr. Peter Stein holt tief Luft, ehe er fortfĂ€hrt: âHerr Winkel, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass die SchĂ€den am Hirn irreversibel sind. Wir haben alles versucht, aber Ihre Freundin ist hirntot. Sie kann weder selbststĂ€ndig atmen noch kann ihr Herz selbststĂ€ndig schlagen. Die GerĂ€te werden in zwei Stunden abgestellt. Bis dahin können Sie noch einmal zu ihr und sich von ihr verabschieden. Es tut mir leid.â UnglĂ€ubig starre ich den Arzt an. Meine Atmung beschleunigt sich, das Blut rauscht in meinen Ohren und mein Herz beginnt, immer schneller zu schlagen. Was hat er da gerade gesagt? Sarah ist tot? Das kann nicht wahr sein. Das darf nicht wahr sein. Weitere TrĂ€nen jagen meine Wangen herunter. Ich kann nur noch verschwommen sehen. Meine Lunge brennt. Ich japse nach Luft, ringe darum, aber ich bin atemlos. Mit einer Hand auf meiner Brust vergewissere ich mich, ob mein Herz noch dort ist. Es ist noch da. Schnell, unkontrolliert, leer. Meine Augen wandern wieder zum Arzt. âWo ist sie?â, bringe ich keuchend hervor. Dr. Stein schaut mich mitleidig an: âIch werde Ihnen eine Schwester schicken, die Sie in das Zimmer begleitet.â Dann steht er auf und geht. Der Mann mit dem weiĂen Kittel verlĂ€sst den weiĂen Raum. Und er hinterlĂ€sst nichts auĂer Leere. Leere im Raum. Leere in mir. Ich starre wieder an die Wand. An die weiĂe Wand. Tick, tack, tick, tack. Die quĂ€lende Uhr. Diese verdammte, quĂ€lende Uhr.
© Marit Heidler 2024-09-02