von Micaela Hemesath
Weit weg von meinem geliebten München möchte ich leben. Die Sprache lernen, die Kultur der Azteken und Mayas erforschen, erwachsen werden. Das Ziel ist drei Wochen entfernt, mit dem Schiff über den Atlantik nach Vera Cruz in Mexiko. Von dort mit der Bahn nach Mexiko City.
An Fliegen war preislich nicht zu denken, Anfang der 60er. Also die günstigste Variante, ein Frachtschiff mit max. 12 Passagieren. Angekommen in Bremerhaven übergab ich mein Gepäck und mein Leben einer kleinen Nussschale, die mich über die Weiten des Atlantiks, in einen anderen Kontinent bringen sollte. Segeln auf dem Starnberger See kannte ich, aber das…
Der erste Morgen überraschte mich mit Sonnenschein, gleichmäßig brummendem Motor und einem gut gelaunten Steward, der mich mit einem opulenten Frühstück verwöhnte. Flirt inbegriffen. Nach Erkundung des Decks und allen Ecken, machte ich es mir gemütlich in einem Liegestuhl mit guter Lektüre. Columbus auf Entdeckungsfahrt eines neuen Kontinents. Die Azoren kamen in Sicht, dort konnten wir Briefe aufgeben. Ansonsten gab es keine Möglichkeit des Kontakts mit dem Festland.
Die Abende verbrachte ich mit einer Haitanischen Botschafterin, die sich die Haut bleichte um weiß zu werden. Holsteiner Kühe sehen ähnlich aus. Sorry! Dafür war sie eine Meisterin im Canasta. Nach drei Wochen Reise war ich es auch. Das Essen war fünfmal am Tag ein Highlight und meine schöne hellblaue Leinenhose rächte sich mit zu eng werden. Sogar einen Pool baute die Mannschaft aus Segeltüchern und eingeleitetem Seewasser. “Mein” Steward schaute immer, dass es mir an nichts fehlte und wir freundeten uns ein bisschen an.
RRUMMS, Güterzüge rammten das Schiff, Windstärke 8 war prognostiziert und ein strenges Verbot, nicht auf Deck zu gehen. Das Auf und Ab ist lebensgefährlich. Ganz klar: Das überleben wir nicht! Von meinen Mitpassagieren sah ich niemanden mehr, sie kotzten sich alle die Seele aus dem Leib. Mein bayerisches Magerl machte brav diesen tosenden Wahnsinn mit und ich ebenso.
Nach einer Nacht, die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht, war der Spuk vorbei und der vorgegaukelte Friede spuckte ein paar gelbgesichtige Individuen aus, die Tee mit Zwieback zu sich nahmen. Mir schmeckte mein Rührei.
Langsam waren auch die drei Wochen zu Ende und mein Steward bat mich, den letzten Abend mit ihm zu verbringen. Wir tranken Wodka und philosophierten vor uns hin. Bis er plötzlich einen Revolver herauszog und mich nötigte mit ihm in die Kabine zu gehen oder er würde uns beide umbringen. Er würde mich lieben. Mein Über-ich ließ mich ganz kalt handeln. Ich entriss ihm die Waffe und schmiss sie in hohem Bogen ins Meer. Dann sauste ich los. Sterben möchte ich später und schon gar nicht durch einen Mann!
Vera Cruz empfing mich mit Sonnenschein und ich verließ breitbeinig im Matrosen Gang das Schiff und wankte meiner ungewissen Zukunft entgegen.
VIVA MEXICO LINDO!
Foto: Luis Domenech, unsplash
© Micaela Hemesath 2022-03-16