von Franz Olisar
Unser Grundstück ist optisch zweigeteilt. Den einen Teil könnte man als „gepflegte Gartenanlage“ bezeichnen, wogegen der andere Teil ganz bewusst „naturbelassen“ ist. Inmitten des Gartens steht eine prächtige Trauerweide. Stichprobenartig durchgezählt, grob und fein geschätzt, sowie anschließend Pi mal Daumen hochgerechnet, trägt diese Trauerweide im Jahresdurchschnitt etwa 4.000.007 Blätter.
1,5 Millionen davon fallen im Herbst als welkes Laub auf unseren gleichmäßig und akkurat gepflegten Rasen, auf welchem sie der Wind unkontrolliert und unregelmäßig verteilt, wodurch ich gezwungen bin, sie mit einem Laubrechen unter Kontrolle zu bringen und anschließend penibel aufzusammeln, damit sie über den Winter nicht in ungeordneten Grüppchen verfaulen. Der Rasen will ja auch im nächsten Jahr stolz und zufrieden das Prädikat „gleichmäßig und akkurat gepflegt“ für sich in Anspruch nehmen dürfen. Wenn es die Witterung erlaubt, lasse ich den Laubrechen aber auch einfach an seinem angestammten Haken hängen und werfe das Laubwerk einfach dem Rasenmäher zum Fraß vor. Wie auch immer, ist es gar nicht mal so wenig Arbeit! Eine weitere Million Blattleichen taumelt orientierungs- und planlos in meinen Gartenteich, um dort für ein paar Tage vom Herbstwind gesteuert herumzuschwimmen, und anschließend mit der Absicht, dort zu verrotten, in die Tiefen des Wassers zu entschwinden versuchen. So ist es nun meine Aufgabe, möglichst viele von ihnen rechtzeitig mit einem Netz aufzufischen, um zu verhindern, dass die zahlreichen Libellenlarven, der Nachwuchs der Teichmolche, und viele andere Teichbewohner versehentlich das zusätzliche Schlammangebot zu nützen versuchen, und von ihren angestammten Reservaten in den für uns Menschen reservierten, schlammfrei erwünschten Schwimmbereich zu übersiedeln gedenken. Alles in allem ist das doch auch ein gehöriger Aufwand! Weitere 1,5 Millionen Sorgen fallen direkt in den darunterliegenden gleichmäßig und akkurat gepflegten Kies-Schotter-Bereich, um sich dort in Mühsal zu verwandeln. Einfach liegen und verfaulen lassen ist in diesem Bereich gar keine Option, weil sich sonst im nächsten Jahr auch der akkurat gepflegte Kies-Schotter-Bereich verwandeln würde, und zwar bei Regen in ein klebriges Schlammsteinmoor, und bei Sonnenschein in eine ausgetrocknete Staubsteinwüste. Dem ist beizeiten vorzubeugen, indem man Kieselsteine und totes Laubwerk sauber trennt, um Letzteres entsorgen zu können. Da in der Vergangenheit alle diesbezüglichen Versuche mit fein-, mittel- und grobzinkigen Rechen zum kläglichen Scheitern verurteilt waren, weil man damit zwar eine optisch interessante Tal- und Hügellandschaft erschaffen, aber kein einziges Blatt von einem Kieselstein separieren konnte, war ich gezwungen, mir einen dieser höllisch lauten Laubsauger anzuschaffen. Damit funktioniert die Trennung von Stein und Blattkadavern zwar hervorragend, allerdings sind diese Geräte nicht nur höllisch laut, sondern auch einigermaßen schwer, was bedeutet, dass auch dieser Schritt einen erheblichen Arbeitsaufwand mit sich bringt.
Die restlichen 7 Blätter weht ein günstiger Wind in den naturbelassenen Teil unseres Gartens, wo sie einfach liegen bleiben und verfaulen dürfen. Gut, dass ich wenigstens diesen Teil des Gartens naturbelassen habe. Das verringert meinen Arbeitsaufwand doch erheblich, wodurch ich etwas weniger traurig werde.
© Franz Olisar 2024-01-24